Helsinki: Gipfel der Unberechenbaren
15. Juli 2018Seinen klassizistischen Palast direkt am Hafen hat der finnische Staatspräsident Sauli Niinistö vor einigen Tagen noch einmal mit Hochdruckreinigern säubern lassen. In ganz frischem Gelb erstrahlt das eher kleine Gebäude in der Sommersonne. Es ist ungewöhnlich heiß in Helsinki. Direkt neben dem Palast vergnügen sich Finnen und Touristen in einem neuen Freibad und in einer Sauna, die in ein Riesenrad eingebaut ist. Abgesehen von den Tausenden Polizisten, die aus dem Urlaub zurückbeordert wurden, blicken die meisten hier gelassen auf den historischen Gipfel mitten in den Sommerferien.
Bereits 1990 waren der damalige US-Präsident George Bush senior und der sowjetische Machthaber Michail Gorbatschow in Helsinki zu Gast. Finnland als neutrales Land, das nicht der NATO angehört, an Russland grenzt, sich aber dem "Westen" zurechnet, ist ein idealer Austragungsort, fand Staatspräsident Sauli Niinistö. Und er lud US-Präsident Donald Trump und den russischen Präsidenten Wladimir Putin ein, seine Amtsräume für ihren ersten echten Gipfel zu nutzen.
Gemischte Erwartungen
"Ich verkaufe seit über 45 Jahren Souvenirs auf dem Marktplatz hier vor dem Präsidentenpalast", erzählt Hervi Kallinen an ihrem Andenkenstand. "Ich habe schon alle Gipfel gesehen, auch den von 1990. Damals hat Barbara Bush etwas gekauft." Diesmal seien die Sicherheitsvorkehrungen aber so streng, dass sie ihren Stand am Gipfeltag schließen müsse. "Ja, die Aufregung ist groß, aber viel wird wohl nicht dabei herauskommen", meint Hervi lachend und schwenkt russische und amerikanische Papierfahnen, die sie an die Touristen von den Kreuzfahrtschiffen im Hafen verkauft.
Präsident Trump hat sich in einem Interview mit dem britischen Sender ITV zuversichtlich geäußert, dass dieser erste Gipfel inmitten starker amerikanisch-russischer Spannungen ein Erfolg wird. Er will "deals" machen, die vielleicht nicht jedem gefallen, kündigte er an. "Putin könnte ein ruchloser Machthaber sein", mutmaßt Trump in dem Interview. "Das weiß ich aber nicht. Ich kenne Putin nicht. Ich habe ihn einige Male getroffen (beim G20-Gipfel und beim ASEAN-Gipfel 2017, d. R.). Ich denke, wir könnten ganz gut miteinander auskommen. Man hat mich gefragt, ist er ein Feind oder ein Freund. Ich sage, wir sind Konkurrenten, aber das ist eine gute Sache." Der russische Präsident hat sich mit öffentlichen Äußerungen über Donald Trump zurückgehalten. Im letzten Jahr nach ihrem ersten Treffen beim G-20-Gipfel in Hamburg, sagte Putin lediglich: "Der Trump, den ich persönlich erlebt habe, ist nicht der Trump, den wir aus dem Fernsehen kennen."
Undurchsichtige Agenda
Worüber die beiden Präsidenten am Montagmittag eine Stunde lang unter vier Augen sprechen wollen, ist unklar. Themen gibt es jedenfalls genug, denn die Liste der Konflikte, in denen sich die USA und Russland gegenüberstehen, ist lang: Annexion der Krim durch Russland, Einmischung Russlands in den Krieg in der Ost-Ukraine, Russlands Rolle im Syrien-Krieg, der Ausstieg der USA aus dem Atom-Abkommen mit Iran, der Nahost-Konflikt, Nordkorea, atomare Abrüstung und so weiter.
Etwas widerwillig hat Präsident Trump während seiner Europareise angekündigt, er werde Putin fragen, ob er sich in den amerikanischen Wahlkampf mit Cyber-Angriffen eingemischt habe. Ob Trump von Putin die Auslieferung von zwölf russischen Geheimdienst-Offizieren fordern wird, die in den USA vergangene Woche wegen Hackerangriffen angeklagt wurden, habe er sich noch nicht überlegt, sagte der US-Präsident dem Sender NBC. "Meine Erwartungen an diesen Gipfel sind eher gering", gab Trump an. "Es kommt nichts Schlechtes dabei heraus, vielleicht was Gutes."
Werbung für Finnland
Für Finnland sei der Gipfel ein tolles Marketing, meint Sanna Leino auf dem Markt gegenüber dem gelben Präsidentenpalais. "Alle sprechen über uns." 1400 Journalisten haben sich angemeldet. Weltweit wird live übertragen werden. "Ich erwarte keine besonderen Ergebnisse. Was Trump so redet, hat ja keine Folgen", sagt die junge Frau aus Helsinki. "Das sieht man ja bei Nordkorea. Nach dem spektakulären Gipfel in Singapur ist doch hinterher nichts passiert." Diese Auffassung haben auch viele Politik-Experten, denn für das amerikanisch-russische Treffen wurden, soweit bekannt, keine Dokumente vorbereitet. Aus dem Weißen Haus hieß es von ungenannten Quellen, Präsident Trump habe wenig bis gar nichts zu den heiklen Themen Ukraine oder nukleare Rüstung lesen wollen. Präsident Putin dagegen ist bekannt dafür, dicke Akten zu studieren und sich minutiös auf solche Treffen vorzubereiten. Trump sagte in einem Interview mit seinem konservativen Lieblingsfernsehsender "Fox": "Vielleicht bitte ich ihn um einen Gefallen und sage, geben sie mir die Krim zurück."
"Da treffen sich zwei Unberechenbare", glaubt Jana Mikkila, die auf der Alexanderstraße, der größten Einkaufstraße in Helsinki unterwegs ist. "Wir sind schon nervös, was dabei herauskommt. Vielleicht gibt Trump ja das Baltikum an die Russen ab", fragt sich Jana. Undenkbar? Immerhin hatte Donald Trump beim NATO-Gipfel in Brüssel angekündigt, er könnte eventuell die Militärmanöver der NATO im Baltikum stoppen, sollte Putin ihn danach fragen. Die Manöver sollen Russland eigentlich demonstrieren, dass die NATO ein Vorgehen wie in der Ukraine nicht dulden würde. Für Deutschland ist besonders interessant, ob Donald Trump seine beißende Kritik an "Nordstream 2" vorbringen wird. Die Gas-Pipeline soll russische Gasfelder durch die Ostsee direkt mit Deutschland verbinden. Laut Trump würde Deutschland mit dem Bau den Russen Milliarden geben, nur um sich zu ihrem Gefangenen zu machen. Doch die Kritik versteht Moskau eher als Geschäftsmanöver, denn als Politik, da die USA den Europäern selbst Gas verkaufen wollen.
Beschauliche Proteste
Bereits am Sonntag vor dem Gipfel zogen 2000 Demonstranten durch die Alexanderstraße zu einen Platz unweit des Präsidentenpalastes. Sie forderten Demokratie, Menschenrechte und eine gerechte Politik in den USA und in Russland. Die meisten Plakate richteten sich gegen US-Präsident Donald Trump, aber auch der autokratisch herrschende Wladimir Putin wurde heftig kritisiert. Die Kanadierin Pamela nahm mit ihren beiden kleinen Töchtern am Protestmarsch teil. "Ich lebe zwar in Helsinki, aber das kann man sich nicht länger bieten lassen", sagte sie und trug ein kleines Pappschild mit der Aufschrift. "Vorsicht vor den Trump-Nazis. Sie kommen."
Organisiert wurde die Demonstration "Helsinki calling" auch von den "Demokraten im Ausland", also Mitgliedern der Oppositionspartei in den USA. Vereinzelt wurden in Helsinki aber auch Anhänger des Republikaners Trump gesichtet. In seinem jüngsten Interview mit ITV hatte Donald Trump behauptete, in Großbritannien hätten "sehr, sehr viele Menschen" für ihn demonstriert. "Der Mann hat eine blühende Fantasie, und er lügt wohl auch mal - wie viele Politiker", meint die erfahrene Andenkenverkäuferin Hervi Kallinen am Präsidentenpalast. "Auf jeden Fall ist Dienstag alles vorbei und Welt dreht sich weiter."