Herausforderung Salafismus in Deutschland
12. Dezember 2012Sie tragen Pluderhosen, Häkelkappen und lange Bärte, manchmal verteilen sie Koran-Exemplare in deutschen Fußgängerzonen, manchmal greifen sie bei Demonstrationen Polizisten mit dem Messer an. Und manchmal planen sie auch terroristische Anschläge - ungefähr so dürfte das Bild aussehen, das die meisten Deutschen von "Salafisten" haben.
Knapp 4000 Anhänger hat der Salafismus in Deutschland, ein Teil davon Konvertiten - aber wie gefährlich und wie bedeutend die islamistische Strömung hierzulande ist, darüber sind sich Experten nicht einig.
Nahtstellen zum Terrorismus?
Ein eher beunruhigendes Bild salafistischer Aktivitäten in Deutschland zeichnet F.W. Horst - der Terrorismusforscher hat am Interdisciplinary Center Herzliya (IDC) und am International Institute for Counterterrorism (ICT) in Israel studiert. Für Horst bestehen durchaus Nahtstellen zwischen bestimmten, eigentlich als moderat geltenden Moscheegemeinden oder Imamen zu salafistischen Predigern und zu gewaltbereiten "Dschihadisten". So seien etwa im Umkreis der Berliner Al-Nur-Moschee ganze Gruppen von jungen Männern indoktriniert worden und anschließend zum "Heiligen Krieg" nach Waziristan aufgebrochen.
Aus Berlin stammt auch der ehemalige Rapper "Deso Dogg" alias Denis Mamadou Cuspert, der sich nach Ägypten abgesetzt hat und von dort aus mit Anschlägen in Deutschland droht. Mit den veränderten Machtverhältnissen in den Ländern der "Arabellion" hätten salafistische Extremisten neue Rückzugs- und Finanzierungsmöglichkeiten, so Horst - hier braue sich also gerade eine "gefährliche Mischung zusammen". In Deutschland selbst, so das kritische Fazit des Terrorismusforschers, gebe es in vielen islamischen Gemeinden "nicht nur eine große Toleranz gegenüber Salafisten, die als moderater gelten, sondern auch gegenüber Salafisten, die offen zu Gewalt aufrufen und nachgewiesenermaßen Kontakte zu terroristischen Organisationen im In- und Ausland haben."
Schriftgetreue Minderheitsmeinung
Laut Lagebild des Verfassungsschutzes aus dem Jahr 2011 sind die allermeisten Salafisten in Deutschland keine Terroristen. Andererseits waren aber "fast alle in Deutschland bisher identifizierten terroristischen Netzwerkstrukturen und Einzelpersonen salafistisch geprägt", sagt Aladdin Sarhan, Mitarbeiter des Landeskriminalamts Rheinland-Pfalz. Der Islamwissenschaftler betont: "Wir bei der Polizei beobachten nicht die Salafisten als eine Strömung. Entweder haben wir mit konkreten Straftaten zu tun oder wir versuchen, Straftaten zu verhindern."
In der öffentlichen und medialen Wahrnehmung ist der Salafismus überaus präsent - zum einen natürlich nach Anschlagsdrohungen oder Anschlagsvorbereitungen, zum anderen aber auch durch eigene "Missionierungsbemühungen", zum Beispiel im Internet, sozialen Medien oder dem Verteilen von Koran-Exemplaren in deutschen Städten. Aber, so der Islamwissenschaftler Aladdin Sarhan, man habe es eigentlich "mit einem Scheinriesen zu tun. Die Strömung hat nicht so viele Anhänger, wie sie den Eindruck erweckt." Sarhan, selbst Moslem, definiert Salafismus als eine "religiös-puritanische, revisionistische, rückgewandte Glaubens- und Weltanschauung" mit einem wortgetreuen Verständnis des Koran. "Für die Mehrheit der Muslime ist Allah Gott, und Gott ist Allah. Für die Salafisten ist Gott ein absoluter Befehlshaber. Der Koran ist für die meisten Muslime eine Offenbarung, eine Heilige Schrift. Für die Salafisten ist er eine Verfassung.“
Steilvorlage für Populisten
Auch Begriffe wie "Scharia" oder "Dschihad" deuten Salafisten auf ihre eigene, radikale Weise - und wer das dann als nicht-muslimischer Deutscher für die Meinung "der Muslime" hält, ist in gewisser Weise der "Missionierung" der Salafisten auf den Leim gegangen. Oder aber den Populisten aus dem rechten politischen Spektrum wie den Gruppierungen "Pro Köln", "Pro NRW" oder "Pro Deutschland".
Seit etwa 20 Jahren sei nämlich bei Rechtsextremen "eine hochinteressante Wende" von einer antisemitischen und anti-israelischen hin zu einer anti-islamischen Ausrichtung festzustellen, so die Diagnose der Soziologieprofessorin Karin Priester von der Universität Münster - mit den Salafisten böte sich solchen Gruppen nun ein "besonders geeigneter Gegner". Zielgruppe der "Pro-Bewegungen" seien eher unpolitische Menschen mit Ängsten vor Kriminalität oder Ressentiments gegen eine multikulturelle Gesellschaft, so die Soziologin.
Differenzierung und Dialog
Eine extreme Minderheitsposition darf nicht verwechselt werden mit "dem Islam" - darin sind sich die Experten einig. Soziologieprofessorin Priester moniert jedoch, Bekenntnisse zur Toleranz und zum respektvollen Miteinander, wie sie beispielsweise Bekir Alboga von der Türkisch-Islamischen Union der Anstalt für Religion (DITIB) vertritt, seien ihr "zu wolkig und zu theologisch". Sie sieht ein großes Problem darin, dass nicht klar sei, wer eigentlich das Sprachrohr des Islam sei, wessen Stellungnahme zumindest für eine Mehrheitsposition stände und verbindlich sei.