Nach den Wahlen in Österreich: Was bedeutet der FPÖ-Sieg?
30. September 2024"Ich hätte nicht gedacht, dass es so so weit kommt und dass wir nicht aus der Geschichte lernen", sagt die Studentin Hanna Fanninger, als sie am Montag nach der Wahl in der Nähe des österreichischen Parlamentsgebäudes in Wien entlangläuft. Gerade weil sie Geschichte studiere, finde sie das Ergebnis erschreckend, ergänzt sie.
In Österreich ist das eingetreten, was Demoskopen seit Monaten vorhergesagt hatten: Die rechte Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ) hat nach dem vorläufigen Endergebnis die Wahl zum Nationalrat – dem österreichischen Parlament – mit 29,2 Prozent gewonnen. Dahinter folgt die konservative Volkspartei (ÖVP) des amtierenden Bundeskanzlers Karl Nehammer mit 26,5 Prozent und die Sozialdemokraten mit 21,1 Prozent. Auch die liberalen Neos mit neun Prozent und die Grünen mit 8,2 Prozent werden im Parlament sitzen.
Rechtspopulist Kickl will Kanzler werden
Der FPÖ-Vorsitzende Herbert Kickl hat bereits seinen Anspruch auf das Kanzleramt angemeldet. Seine Partei verspricht eine "Festung Österreich" zu bauen und Asylanträge aus bestimmten Ländern, darunter Afghanistan und Syrien, nicht mehr zuzulassen. Für Ausländer, die sich nicht an die Gesetze halten, will die FPÖ die "Remigration" - ein umstrittener Begriff, der im österreichischen Verfassungsschutzbericht 2023 als rechtsextremistisch eingestuft wird.
An einer Straßenbahnstelle in der Nähe des Parlaments brät Mohsen Hosseini Würstchen in einem typisch österreichischen Würstlstand. Er ist Afghane und seit dreizehn Jahren im Land, erzählt er. Er findet das Wahlergebnis "nicht schlecht", sagt er. Angst, dass sich die Situation für Migranten verschlechtern könnte, habe er keine. Denn er habe sich an alle Regeln gehalten.
Ein Passant lobt das Wahlergebnis als "sehr gut". Denn Richard Wachter stört sich an der Wirtschaftspolitik der Großparteien der vergangenen Jahrzehnte. Dass Herbert Kickl jetzt Kanzler werde, glaubt der Pensionist allerdings nicht: Die anderen Parteien würden alles tun, um ihn auszusperren, sagt er.
Herbert Kickl als Kanzler gilt als unwahrscheinlich
Denn um Kanzler zu werden, müsste Kickl einen Koalitionspartner finden. Während sowohl die Sozialdemokraten als auch die Neos eine Koalition mit den Freiheitlichen ausgeschlossen haben, hat die ÖVP dies nicht kategorisch getan.
Allerdings hat ÖVP-Chef Karl Nehammer eine Regierungszusammenarbeit mit dem Rechtspopulisten Kickl ausgeschlossen. Diesen hatte Nehammer zuvor als "Sicherheitsrisiko" für das Land und als radikalisiert beschrieben. Innerhalb der ÖVP hätten es weitere Akteure ausgeschlossen, Kickl zum Kanzler zu machen, sagt die Politikwissenschaftlerin Kathrin Stainer-Hämmerle. Aus heutiger Sicht könne sie sich nicht vorstellen, dass er Kanzler werde.
Es sei allerdings denkbar, dass Kickl etwa den Posten des Nationalratspräsidenten bekommt, ÖVP und die FPÖ eine Koalition eingehen und die ÖVP den Kanzler stellt, erläutert die Politikwissenschaftsprofessorin der Fachhochschule Kärnten im Gespräch mit der DW.
Eine Koalition ohne die FPÖ zu schließen, etwa in Form eines Zweier-Bündnisses aus ÖVP und SPÖ, wäre durchaus möglich. Auch die Hinzunahme der Neos gilt als Variante. In jedem Fall dürften die Koalitionsverhandlungen kompliziert werden.
Bundespräsident will mit allen Parteien reden
Bundespräsident Alexander Van der Bellen hat unter anderem die Aufgabe, den nächsten Bundeskanzler zu ernennen. Am Sonntagabend erklärte der ehemaligen Grünen-Abgeordnete, er wolle erst einmal mit allen Parteien Gespräche führen. Bei der Regierungsbildung werde er darauf achten, dass die "Grundpfeiler unserer liberalen Demokratie" respektiert werden – und zählt unter anderem den Rechtsstaat, die Gewaltenteilung, aber auch die EU-Mitgliedschaft auf. In der Vergangenheit hatte Van der Bellen die FPÖ für ihre Haltung gegenüber der EU kritisiert.
Österreichs Rechtspopulisten und die EU
Denn die FPÖ fährt, wie viele andere rechtspopulistische Parteien, einen europaskeptischen Kurs. Als die Partei im Jahr 2000 – damals noch unter Jörg Haider – in einer Koalition mit der ÖVP regierte, sorgte dies noch für Empörung und zu Sanktionen durch die anderen EU-Staaten.
In den Jahren 2017 bis 2019 regierten die beiden Parteien erneut gemeinsam. Die Koalition zerbrach nach dem Ibiza-Skandal, bei dem der damalige FPÖ-Vizekanzler einer vermeintlichen Oligarchentochter Staatsaufträge im Austausch für Wahlhilfe in Aussicht stellte.
Auch in Italien, Ungarn und den Niederlanden stellen Rechtsaußen-Parteien die Regierungsparteien.Vor diesem Hintergrund erwartet der Politikwissenschaftler Peter Filzmaier keine Reaktionen wie im Jahr 2000, erklärte er im Vorfeld der Wahlen im Gespräch mit der DW. Der Politologe der Donau-Universität Krems sieht für die EU allerdings ein Problem darin, dass sie sich mit immer mehr ihr sehr ablehnend gegenüberstehenden Regierungen konfrontiert sehe.
Einige dieser Parteien, auch die FPÖ, wollen beispielsweise die Ukraine in ihrem Kampf gegen den russischen Angriffskrieg nicht mehr unterstützen. Auch die Russland-Sanktionen, die einstimmig in der EU beschlossen werden müssen, möchte Herbert Kickl abschaffen, da diese Österreich mehr schaden würden als Russland.
Möglicher Einfluss der FPÖ auf die EU-Politik?
Sollte Herbert Kickl allen Erwartungen zum Trotz Bundskanzler werden, könnte er in dieser Rolle Entscheidungen im Europäischen Rat blockieren. Dieses Vorgehen ist der EU und ihren Mitgliedstaaten durch den ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orban bekannt. Der hatte in der Vergangenheit, manchmal auch nur zeitweise, Ukrainehilfen blockiert. In Herbert Kickl könnte er bei Treffen des Europäischen Rates einen Verbündeten finden.
In ihrer Fraktion im EU-Parlament, die sie mit dem ehemaligen tschechischen Ministerpräisidenten Andrej Babis gegründet haben, sitzen die Parteien von Kickl und Orban bereits zusammen. Die rechten "Patrioten für Europa" stellen die drittstärkste Fraktion im Europaparlament.
Doch auch wenn Herbert Kickl nicht Kanzler werden sollte, habe eine starke FPÖ Einfluss auf die österreichische EU-Politik, sagt Stainer-Hämmerle. So fahre die ÖVP bereits heute einen weniger pro-europäischen Kurs als in den 1990er Jahren. Stainer-Hämmerle vermutet, dass sich dies bei einer möglichen Koalition mit der FPÖ noch verstärken werde.
Am Montag hieß es, wie üblich in Brüssel, dass die EU-Kommission keine Wahlergebnisse kommentiere. Und dennoch: Der Ausgang der Koalitionsverhandlungen dürfte nicht nur die Österreicher und Österreicherinnen interessieren.