Hisbollah droht Israel mit Rache für Pager-Explosionen
Veröffentlicht 18. September 2024Zuletzt aktualisiert 18. September 2024Bei der Massenexplosion von Pagern im Libanon handelt es sich US-Medienberichten zufolge offenbar um eine israelische Sabotageaktion. Dem israelischen Geheimdienst sei es gelungen, eine Lieferung von Pagern abzufangen und in den Geräten einige Gramm Sprengstoff zu platzieren, berichtete die "New York Times". Bei den Explosionen waren am Dienstag laut Angaben der Regierung in Beirut mindestens zwölf Menschen getötet und rund 2800 weitere verletzt worden, etwa 300 von ihnen schwer.
Pager-Geräte, die auch von der pro-iranischen Hisbollah-Miliz im Libanon genutzt werden, ermöglichen den Empfang unter anderem von Nachrichten über ihre eigene Funkfrequenz und damit ohne die Nutzung von Mobilfunknetzen. Die Hisbollah hatte ihre Kämpfer nach Beginn des Israel-Hamas-Krieges angewiesen, ortungsfähige Mobiltelefone zu meiden und stattdessen auf ihr eigenes Telekommunikationssystem zurückzugreifen, um israelische Übergriffe zu verhindern.
Eine der Hisbollah nahestehende Quelle sagte der Nachrichtenagentur AFP, dass "die explodierten Pager eine kürzlich von der Miliz importierte Lieferung von 1000 Geräten betreffen", die offenbar "an der Quelle sabotiert" worden seien. Höchstwahrscheinlich sei an der Batterie eine kleine Menge Plastiksprengstoff eingebaut worden, der durch einen Telefonanruf oder ein Funksignal zur Explosion gebracht werden konnte, erläuterte ergänzend Charles Lister von der US-Denkfabrik Middle East Institute. Der israelische Geheimdienst habe offenbar die Lieferkette "infiltriert".
Taiwanischer Hersteller bestreitet Verbindung
Nach dem Bericht der "New York Times" hatte die Hisbollah die Pager beim taiwanischen Hersteller Gold Apollo bestellt. Das Unternehmen wies die Darstellung jedoch zurück und erklärte, bei den explodierten Pagern handele es sich "nicht um unsere Produkte". Laut Gold Apollo wurden die Geräte vielmehr in der ungarischen Hauptstadt Budapest vom Partnerunternehmen BAC produziert.
Wie der Vorstand von Gold Apollo, Hsu Ching-Kuang, mitteilte, trugen die Geräte lediglich das Logo seiner Firma. "Gemäß einer Vereinbarung ermächtigen wir BAC, unser Markenzeichen für den Verkauf von Produkten in bestimmten Regionen zu nutzen, aber Design und Herstellung werden vollständig von BAC übernommen", teilte Gold Apollo weiter mit. Taiwanischen Medienberichten zufolge will die Firma rechtliche Schritte einleiten, da sie sich als Opfer sehe. Gold Apollo wurde 1995 gegründet und ist auf kabellose Funksysteme spezialisiert.
Hisbollah: "Israel erhält seine gerechte Strafe"
Die Hisbollah wies Israel die Verantwortung für die "kriminelle Aggression" im Libanon zu und kündigte an, ihren Kampf zur Unterstützung der Palästinenser im Gazastreifen fortzusetzen. Zudem drohte sie, dass Israel für die Angriffe "sicherlich seine gerechte Strafe" erhalten werde. Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah kündigte an, sich am Donnerstag in einer Rede zu dem Thema zu äußern.
Die mit der Miliz verbündete radikal-islamische Palästinenserorganisation Hamas bezeichnete die Explosionen im Libanon als "zionistische terroristische Aggression". Sowohl die Hisbollah als auch die Hamas werden von vielen Staaten, darunter Deutschland, als Terrororganisationen eingestuft.
Levitt im DW-Gespräch: Israel steckt dahinter
Auch Matthew Levitt, Experte für Terrorismusbekämpfung und Nachrichtendienste am Washingtoner Institut für Nahostpolitik, vermutet Israel hinter den Pager-Detonationen. Die Aktion sei eine ernste Warnung an die Hisbollah, nun endlich den seit elf Monaten andauernden Raketenbeschuss Nordisraels zu beenden, sagte Levitt der Deutschen Welle. Zugleich müsse die Miliz zur Kenntnis nehmen, wie sehr Israel ihre Organisation bereits durchdrungen habe.
Das US-Außenministerium bestritt, im Vorfeld informiert worden zu sein. Zugleich mahnte die Regierung in Washington den Iran, nichts zu tun, was die derzeit angespannte Lage verschärfen könne. Teheran unterstützt die Hisbollah im Libanon, die nach dem Beginn des Israel-Hamas-Krieges ihre Angriffe auf Israel intensiviert hatte.
Dem iranischen Staatsfernsehen zufolge wurde auch der Botschafter des Landes in Beirut, Modschtaba Amani, bei einer Pager-Explosion verletzt. Die Verletzungen des 61-Jährigen seien aber nur "oberflächlich". Generell warf ein Außenamtssprecher in Teheran Israel einen "terroristischen Akt" vor, der auf libanesische Bürger gezielt habe. Dies sei "ein Beispiel für Massenmord".
Die Explosionen trafen am Dienstagnachmittag mehrere Hochburgen der Hisbollah im Libanon. Es habe "gleichzeitige" Detonationen in den Bastionen der Miliz im Süden der Hauptstadt Beirut, im Südlibanon und der östlichen Bekaa-Ebene gegeben, gab eine Quelle der Miliz an. Unter den Toten sei auch der Sohn eines Hisbollah-Abgeordneten, verlautete aus der Miliz nahestehenden Kreisen. Der Sohn eines weiteren Hisbollah-Abgeordneten sei verletzt worden.
Im Osten des Libanon wurde die zehnjährige Tochter eines Mitglieds der Miliz getötet, als sie neben ihrem Vater stand und dessen Pager explodierte, wie ihre Familie sowie eine Quelle aus dem Hisbollah-Umfeld angaben. Mehr als 200 Verletzte schweben laut Angaben des libanesischen Gesundheitsminister Firas Abiad in Lebensgefahr.
UN: "Äußerst beunruhigende Eskalation"
Die UN-Sonderkoordinatorin für den Libanon, Jeanine Hennis-Plasschaert, sprach von einer "äußerst beunruhigenden Eskalation". Sie forderte "alle beteiligten Parteien auf, von weiteren Aktionen (...) abzusehen, die einen größeren Flächenbrand auslösen könnten". Der EU-Außenbeauftragte verurteilte ebenfalls die Pager-Explosionen. Auch wenn die Angriffe offenbar gezielt erfolgt seien, hätten sie "schwere, wahllose Kollateralschäden unter der Zivilbevölkerung zur Folge", hieß es in einer Erklärung Borells.
Die Lufthansa setzte wegen der Explosionen ihre Flüge nach Tel Aviv und in die iranische Hauptstadt Teheran aus. In beiden Fällen gelte dies zunächst bis einschließlich Donnerstag, teilte der Konzern mit. Air France kündigte an, im gleichen Zeitraum die Flüge nach Tel Aviv sowie in die libanesische Hauptstadt Beirut auszusetzen.
Galant: "Militärisches Handeln der einzige Weg"
Die israelische Regierung hatte erst am Dienstag mitgeteilt, dass sie ihre Kriegsziele auf den Konflikt mit der Hisbollah ausgeweitet habe. Aufgrund der Kämpfe zwischen der israelischen Armee und der pro-iranischen Miliz im Libanon mussten bereits Zehntausende Menschen auf beiden Seiten der Grenze fliehen. Israels Verteidigungsminister Joav Galant hatte am Montag erklärt, "militärisches Handeln" sei "der einzige verbliebene Weg, die Rückkehr der nordisraelischen Gemeinden sicherzustellen".
Israels Konflikt mit der Hisbollah wurde bislang nicht offiziell als Krieg deklariert. Dennoch wurden durch die Feuergefechte laut einer Zählung der Nachrichtenagentur AFP bislang mehr als 620 Menschen getötet, darunter mindestens 141 Zivilisten. Auf israelischer Seite, inklusive der annektierten Golan-Höhen, starben nach Behördenangaben bisher 24 Soldaten und 26 Zivilisten.
sti/jj/kle (afp, dpa, rtr)