Hochkonjunktur für Siegfried & Co.
25. September 2012Wagner als Zahlungsmittel? Am 22. Mai 2013, dem 200. Geburtstag Richard Wagners, wird in Deutschland eine 10 Euro-Münze mit seinem Konterfei herausgegeben. Die Ironie dieser Entscheidung des deutschen Finanzministeriums wäre auch dem immer wieder vor Gläubigern flüchtenden Komponisten nicht entgangen.
Aber so, wie die Mozartkugeln wenig über die Kunst ihres Namensgebers sagen, erschließen sich auch die Wagner-Jubiläumsaktivitäten erst bei einem Blick auf die Bühnen der Welt. Und siehe da: 2013 wird soviel Wagner gesehen, gehört, gesungen, gespielt und gefeiert wie nie zuvor.
"Ring"-Reigen
Im Verlauf des Jahres wird der Vier-Opern-Zyklus "Der Ring des Nibelungen" in Melbourne, Seattle und New York, Wien und Mailand, Berlin, Hamburg, München und Frankfurt, Paris und London gespielt - teils in schon bekannten Inszenierungen, teils in neuen.
Natürlich erschöpft sich die "Wagnerei" damit nicht, auch die anderen Opern des Jubilars genießen Hochkonjunktur. Kaum eine Bühne der Welt, die 2013 ohne Wagner auskommt. Gute Wagner-Solisten waren schon immer Mangelware, im nächsten Jahr dürfte der Reigen der Aufführungen für die Mitwirkenden besonders strapaziös sein.
Worauf kommt es aber dann beim Profi an? Der vielleicht wichtigste Wagner-Dirigent der Welt, Christian Thielemann, sagte in einem Interview der DW: "Es bedeutet, dass man Qualität halten muss und dass man überhaupt, wenn man etwas zu sagen hat, möglichst etwas Neues sagt und sich nicht wiederholt." Aber, so Thielemann, man müsse nicht alles auf dem Altar der Modernität opfern: "Was mir zutiefst widerstrebt ist, alles umzustoßen. Es ist wie der geläuterte Konservative. Er sagt, 'ich bewahre das, was bewahrenswert ist, und bin dann offen für Neues.' So sollte es da auch sein."
Altes Europa, Neue Welt
Neu inszeniert wird die "Opera Australia Ring Cycle" in Melbourne im November und Dezember 2013. In der Neuen Welt bevorzugt man eher konventionelle Inszenierungen, in der Alten verlangt man nach Neudeutungen. Das klingt paradox, ist jedoch verständlich, gibt es in Europa eine viel dichtere Aufführungs- und Rezeptionsgeschichte.
2012 konnte die New Yorker Metropolitan Opera bei ihrer aufwendigen "Ring"-Produktion ideologische Auseinandersetzungen getrost den alten Europäern überlassen und ihre Inszenierung im 19. Jahrhundert verankern. Die Inszenierung von Robert Lepage unter musikalischer Leitung von Fabio Luisi wird 2013 wiederholt.
Auch die Münchner Staatsoper hat das Jubiläum vorweggenommen. Der Dirigent Kent Nagano erklärte: "Wir wollten das Wagnerjahr ein Jahr im Voraus feiern und nahmen das Jubiläum als Anlass, unseren eigenen 'Ring' zu schaffen." Die Produktion wird 2013 in drei Zyklen wiederholt.
An der Berliner Staatsoper wird die neue "Ring"-Produktion des belgischen Regisseurs Guy Cassiers, in der bereits zwei Opern erschienen sind, ab März 2013 vollständig. Unter der musikalischen Leitung von Daniel Barenboim singen Weltstars wie Irene Theorin, Peter Seiffert, Waltraud Meier und René Pape. Anschließend spielt die Produktion an der Scala in Mailand.
Von Leipzig nach Bayreuth
Leipzig, die Stadt der großen Musiker Bach, Mendelssohn-Bartholdy und Schumann, ist auch die Geburtsstadt Richard Wagners. Dort finden vom 16. bis 26. Mai 2013 Festtage statt, mit Ausstellungen sowie historischen und musikalischen Veranstaltungen, einschließlich acht Wagner-Opern.
Geburtsstadt und letzter Wohnsitz Wagners - Leipzig und Bayreuth - gehen im Jubiläumsjahr eine besondere Verbindung ein mit der Produktion seiner Jugendwerke "Rienzi”, "Die Feen” und "Das Liebesverbot". Diese gehören nicht zum regulären Programm der Bayreuther Festspiele, sondern werden an der Leipziger Oper und in der Bayreuther Oberfrankenhalle präsentiert.
In Bayreuth gelingen Sanierung und Umbau des Hauses Wahnfried - Richard Wagners einstigem Wohnhaus, das jetzt Museum ist - nicht rechtzeitig zum Wagnerjahr, was vielerorts enttäuschte. Dafür bietet das Rahmenprogramm in Bayreuth Abwechslungsreiches, auch für Nicht-Opernliebhaber. Das Projekt "Wagner goes rap" lädt Jugendliche ein, Raptexte auf Basis eines Wagner-Librettos zu verfassen. "Happy Birthday Wagner" ist der Titel eines Kurzfilm-Wettbewerbs. Die Leipziger Oper hat sogar ein Musical auf der Basis von Wagners Biographie in Auftrag gegeben – ohne einen Ton Wagnermusik.
Happy Birthday Wagner
Davon gibt es reichlich im Festspielhaus, zunächst in einem von Christian Thielemann dirigierten Geburtstagskonzert am 22. Mai. Die wohl größte Aufmerksamkeit während des Wagnerjahres richtet sich dann auf die Bayreuther Festspiele vom 25. Juli bis 28. August. Auf dem Spielplan steht die Produktion eines Regisseurs, der so manchen Klassiker auf den Kopf gestellt hat: Frank Castorf wird seine Sicht des "Rings" wiedergeben. Freilich ohne die Partitur zu verändern; das verbietet die Satzung der Bayreuther Festspiele. Dirigieren wird der im sibirischen Omsk geborene Kyrill Petrenko. Die Proben dazu begannen bereits im August 2012.
Das Regieteam verheißt Sensationelles, wenn nicht Skandalöses, aber wie Christian Thielemann sagte, ist das für Wagner und Bayreuth völlig normal: "Überspitzt gesagt, wenn in Bayreuth ein Sack voll Kohlen umfällt, steht es in der New York Times auf der ersten Seite. Warum Bayreuth diese irrsinnige Anteilnahme bis in höchste Zeitungskreise hat, das hat mit der Geschichte und allem zu tun. Auf der anderen Seite: Es ist doch toll. Ich bewundere das, wie es einem Menschen gelungen ist, heute - Wagner ist seit 1883 tot -, dass er uns immer noch in Schach hält: Es ist nicht zu fassen."
Bei so vielen Aufführungen und Produktionen: Was wäre der persönliche Wegweiser des Dirigenten durch das dichte Gestrüpp des Wagnerjahres? Für Thielemann liegt er in der Tiefe, nicht in der Breite: "Ich würde mir überlegen, ältere Aufnahmen von tollen Dirigenten anzuhören. Besonders, was in den 50-er und 60-er Jahren in Bayreuth passiert ist. Da gibt es Erstaunliches: Clemens Krauss, Hans Knappertsbusch, auch Herbert von Karajan, der einmal den 'Ring' dort dirigiert hat. Also: starke Dirigentenpersönlichkeiten, wie sie dieses so unterschiedlich interpretiert haben. Und dass das möglich ist, ist völlig erstaunlich."