Steinmeier: "Ihr Schicksal zerreißt uns das Herz"
17. Juli 2021"Wir trauern mit denen, die Freunde, Bekannte oder Familienmitglieder verloren haben", sagte Frank-Walter Steinmeier bei einem Besuch in Erftstadt, südwestlich von Köln. In der Stadt mit 50.000 Einwohnern geht das Wasser allmählich zurück - und immer mehr Schäden werden inmitten der Trümmer sichtbar. Die Bundeswehr hilft mit Bergepanzern beim Aufräumen.
Zusammen mit dem nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten Armin Laschet begegnete der Bundespräsident dort Menschen, die mit dem Leben davonkamen, ihr Hab und Gut jedoch nie wiedersehen werden. Und er dankte denen, die "bis zur Erschöpfung und jenseits davon" professionelle Hilfe leisten.
"Menschen vertrauen auf die Solidarität"
"Viele haben alles verloren, was sie sich ihr Leben lang aufgebaut haben", sagte Steinmeier und mahnte: Die Menschen vertrauten darauf, dass die Solidarität auch dann bestehen bleibe, wenn das Thema nicht mehr die Schlagzeilen dominiere.
Laschet versprach, angesichts der "Jahrhundertkatastrophe" werde das Land Nordrhein-Westfalen "alles dafür tun", um Direkthilfe für die Betroffenen zu organisieren. Es werde "sehr unbürokratisch" Geld ausgezahlt. Danach sei strukturelle Unterstützung beim Wiederaufbau gefragt. Er sei froh, dass sowohl der Bund als auch die anderen Länder Unterstützung angekündigt hätten, sagte Laschet.
In sozialen Netzwerken sorgt derweil ein Video für Aufregung, das zeigt, wie der CDU-Regierungschef und Kanzlerkandidat im Hintergrund Späße macht, während das Staatsoberhaupt das Leid der Menschen in der Region beschreibt. SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil versah einen entsprechenden Video-Link auf Twitter mit den Worten: "Ich bin wirklich sprachlos."
Lachen tut Laschet leid
Zahlreiche inländische und auch ausländische Medien griffen die Szene - mitten im Wahlkampf - in ihrer Berichterstattung auf. Später reagierte Laschet: Er bedauere "den Eindruck, der durch eine Gesprächssituation entstanden ist. Dies war unpassend und es tut mir leid".
Inzwischen mehr als 140 Tote
Das wahre Ausmaß der Hochwasserkatastrophe in Deutschland und mehreren Nachbarländern ist immer noch nicht überschaubar. Für ganz Nordrhein-Westfalen gehen die Behörden bisher von 45 Toten aus. Im südlich angrenzenden Bundesland Rheinland-Pfalz ist die Opferzahl unterdessen auf 98 gestiegen. Es sei zu befürchten, dass noch weitere Leichen gefunden würden, teilte die Polizei mit. Insgesamt sind in beiden Bundesländern mehr als 140 Tote zu beklagen.
Unter den Opfern im Kreis Ahrweiler, der ganz im Norden von Rheinland-Pfalz liegt, sind auch zwölf Bewohner einer Einrichtung für Menschen mit geistiger Behinderung. Sie lebten in Sinzig, einer Kleinstadt an der Mündung der Ahr in den Rhein.
"Das Wasser drang innerhalb einer Minute bis an die Decke des Erdgeschosses", so der Geschäftsführer des Landesverbands der Lebenshilfe Rheinland-Pfalz, Matthias Mandos. Die Nachtwache habe es noch geschafft, mehrere Bewohner in den ersten Stock des Wohnheims zu bringen. "Als er die Nächsten holen wollte, kam er schon zu spät."
Viele andere Menschen konnten - teils mit Hubschraubern - gerettet werden. Allein in NRW sind rund 23.000 Einsatzkräfte von der Feuerwehr und Hilfsorganisationen wie dem Technischen Hilfswerk beteiligt.
Hinzu kommen fast 900 Soldaten, die in beiden Bundesländern Sandsäcke füllen, im 24-Stunden-Schichtbetrieb Umspannwerke sichern oder mit Booten, LKW und Krankentransportern die Notfallmaßnahmen unterstützen. Einige Helfer verloren allerdings im Einsatz für andere ihr eigenes Leben: Mindestens vier Kameraden starben nach Angaben des Verbandes der Feuerwehren in NRW.
Merkel kommt am Sonntag
Bundeskanzlerin Angela Merkel wird an diesem Sonntag die betroffenen Gebiete in Rheinland-Pfalz besuchen. Dies bestätigte die Staatskanzlei in Mainz. Bundesinnenminister Horst Seehofer will sich am Montag ein Bild vor Ort machen.
In vielen Kommunen ist weiterhin das Strom- und Telefonnetz ausgefallen. Angehörige, Freunde oder Bekannte, die jemanden vermissen, können sich unter der Rufnummer 0800 6565651 bei der Polizei melden. Die Hotline ist rund um die Uhr erreichbar und nimmt jeden Hinweis entgegen.
Wetterbesserung in Sicht
Die Wetterlage hat sich inzwischen entspannt. Es bleibt aber wechselhaft, wie der Deutsche Wetterdienst mitteilte. Daher könne es auch weiter zu örtlichen Gewittern mit Starkregen kommen. Noch an diesem Wochenende sollen die Niederschläge jedoch aufhören.
Der Deutsche Städte- und Gemeindebund fordert schnelle Hilfen von Bund und Ländern nach der Unwetterkatastrophe, aber auch verkürzte Planungsverfahren für Klima- und Katastrophenschutzprojekte. In den betroffenen Städten und Kreisen in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz seien Teile der Infrastruktur weitgehend zerstört, sagte der Hauptgeschäftsführer des Städte- und Gemeindebundes, Gerd Landsberg, dem "Redaktionsnetzwerk Deutschland" (RND).
"Hier brauchen wir einen nationalen Kraftakt des Bundes und der betroffenen Bundesländer, mit dem der Wiederaufbau schnell und unbürokratisch organisiert und finanziert werden kann."
jj/haz/hf (rtr, dpa)