Hochwasser und Klimawandel
4. Juni 2013Klimaforscher Mojib Latif vom Kieler Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung führt das Hochwasser, das derzeit so vielen Städten und Gemeinden zu schaffen macht, in erster Linie auf die "berüchtigte 5b-Wetterlage" zurück. "Das ist das sogenannte Mittelmeertief, das sich über dem Mittelmeer bildet, dort mit Wasser vollsaugt und um die Alpen herum, vom Osten über Polen und Tschechien auf Deutschland zugreift."
Dass das Wetterphänomen zu derart extremen Überflutungen geführt hat, habe zwei Hauptgründe, ergänzt Gerhard Lux, Meteorologe und Klimatologe beim Deutschen Wetterdienst: "Zum einen, dass wir einen sehr nassen Mai hatten. Es ist also schon viel Niederschlag gefallen - das hat die Böden gesättigt. Zum anderen kommen dann die kräftigen Niederschläge hinzu, die gesteigert in vielen Teilen Deutschlands Ende Mai und Anfang Juni gefallen sind. Dieses ganze Wasser kann durch die gesättigten Böden nicht mehr in die Böden eindringen. Es gibt keinen Puffer mehr, und das lässt die Bäche und Flüsse ganz schnell anschwellen."
Wetterereignis oder Klimaveränderung?
Die ungewöhnliche Stärke des Regens und das anhaltend feuchte Wetter im "Wonnemonat" Mai lassen die Frage aufkommen, ob der Klimawandel eine Rolle spielt. Wetterphänomene sind nach Meinung der Experten immer Einzelereignisse, die keine Aussage zum Klimawandel zulassen. Dafür muss man die langfristige Entwicklung ansehen, über viele Jahrzehnte, sagt Klimaforscher Latif: "Wenn wir die Messreihe für Deutschland bis 1871 zurückverfolgen, dann sehen wir in der Tat einen leichten Trend hin zu mehr Starkniederschlägen. Heute - wenn wir die letzten Jahrzehnte betrachten - sind Starkniederschläge schon ungefähr doppelt so häufig, wie sie es noch vor 100 Jahren waren."
Wetterdienstexperte Gerhard Lux ist zurückhaltend, wenn es um statistische Belege hierfür geht. Eine Zunahme der Extremniederschläge könne man nicht so sicher nachweisen wie den Temperaturanstieg. Trotzdem geht auch er aufgrund der Klimamodelle von einer Zunahme aus.
Dass die Erderwärmung mit großer Wahrscheinlichkeit zu einem Anstieg der Starkregenfälle führen könnte, sei physikalisch leicht zu erklären, sagt Latif: "Der Gehalt von Wasser in der Luft hängt ganz entscheidend von der Temperatur ab. Die Temperatur reguliert, wie viel Wasser verdunsten kann. Dieses Wasser wird dann bei den Niederschlägen wieder frei und kommt dann wieder zum Erdboden. Je höher die Temperatur, desto mehr Wasser kann verdunsten und umso höher ist das Potenzial für Starkniederschläge."
Die "Jahrhundertereignisse" passieren häufiger
Auch am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung gibt es zurzeit verstärkt Anfragen, inwiefern Extremniederschläge mit dem Klimawandel zusammenhängen. Klimaexperte Stefan Rahmstorf verweist in seinem Blog auf Analysen anlässlich der Häufung von Extremwettereignissen im letzten Jahrzehnt. Aktuelle Studien legten eine Zunahme der Extreme durch den Anstieg der anthropogenen Treibhausgase nahe, schreibt Rahmstorf: "Selbst wenn das Wettergeschehen ansonsten unverändert bleibt und einfach nur alles wärmer wird, dann sind stärkere Extremniederschläge zu erwarten - immer dann, wenn sich gesättigte Luftmassen abregnen."
Das letzte sogenannte Jahrhunderthochwasser in Deutschland fand 2002 statt. Für Klimaforscher Latif ist der Begriff nicht mehr passend. "Wir hatten in den 90er Jahren schon Jahrhundertfluten, dann hatten wir 2002 eine Jahrhundertflut, jetzt 2013 schon wieder eine, ich glaube, die Statistik ändert sich langsam. Das, was früher eine Jahrhundertflut gewesen ist, das ist vielleicht eine Flut, die alle Jahrzehnte wieder kommt."
Besserer Schutz vor Extremereignissen?
Die heftigen Regenfälle haben die Meteorologen rechtzeitig vorhergesagt, betont Gerhard Lux. Die Vorbereitung vor Ort sei jedoch das größte Problem: "Da ist eine gewisse Infrastruktur unerlässlich. Und da ist immer die Frage: Wie bereitet man sich auf ein Ereignis, das alle paar Jahre eintreten wird, entsprechend gut vor?"
Investitionen in Hochwasserschutz sollte man auf keinen Fall aufschieben", meint Klimaforscher Latif. "Diese Flut hat wieder gezeigt, dass wir immer noch nicht optimal angepasst sind. Und eins ist auch klar: Wir müssen wahrscheinlich der Natur ein Stück zurückgeben. Denn die Natur holt sich nur wieder, was ihr auch einmal gehört hat. Wir brauchen mehr Überschwemmungsgebiete. Außerdem müsse man auch über sehr unpopuläre Maßnahmen nachdenken, wie Bauverbote in gefährdeten Gebieten, so der Wissenschaftler.
"Wir haben nichts unternommen"
Zur Anpassung an sich verändernde klimatische Bedingungen sehen Experten heute aufgrund des steigenden CO2-Austoßes keine Alternative: "Wir haben in den letzten Jahrzehnten nichts gegen den Klimawandel unternommen, trotz aller Bemühungen auf Klimakonferenzen", erklärt Latif.
"Und selbst, wenn wir es schaffen sollten - was aber gar nicht in Sicht ist - den CO2-Ausstoß zu stabilisieren und dann längerfristig auch zu senken: Es dauert viele Jahrzehnte, bis wir das Ruder wieder zurückdrehen können. Insofern werden wir in den nächsten Jahrzehnten einfach damit leben müssen, dass solche Starkniederschläge und solche Überschwemmungen häufiger auftreten werden."