Hilla Becher ist tot
15. Oktober 2015Bis zuletzt hat Hilla Becher an ihrem Lebensprojekt festgehalten: Industriearchitektur mit der Kamera vor dem Vergessen zu retten. Die Fotokünstlerin war mit ihrem 2007 verstorbenen Ehemann Bernd in den Industrieregionen Deutschlands und der Welt unterwegs. Die beiden haben in ihren Bildern eine eigene Bildsprache entwickelt und dazu beigetragen, dass Fotografie überhaupt als Kunst ernst genommen wird.
Hochöfen des Ruhrgebiets, Fachwerkhäuser des Siegerlandes oder Wassertürme waren ihre Sujets. Sie wurden in ihren Bildern nicht nur gewürdigt, sie bekamen eine eigene Form der Schönheit zugesprochen. "Es macht keinen Spaß, irgendwelche Schnappschüsse zu machen, die hinterher als Bilder unangenehm anzusehen sind", sagte Hilla Becher in einem Interview mit der DW. Vor allem in den Zechen habe sie mit ihrem Ehemann viel Zeit verbracht und mit ihren unhandlichen Großbildkameras zahllose Aufnahmen machen müssen, bis die riesigen Kühltürme oder Gasbehälter überhaupt ins Bild passten.
Sachliche Fotografie
Selbstbewusst stehen die düsteren Ungetüme da. Immer in der Mitte des Bildes. Der Himmel ist stets trüb, so wirft er keine Schatten. Alle Details sind gleichmäßig gut zu sehen. Menschen tauchen nicht auf. Nichts haben die Fotografen dem Zufall überlassen. Wie Porträts setzten sie Gasbehälter, Kühltürme oder Hochöfen in Szene, um sie ihre Geschichten erzählen zu lassen. Es entstanden Serien, in denen Industriedenkmäler verschiedener Regionen nebeneinander präsentiert - typologisiert - wurden.
Bernd und Hilla Becher wurden als Paar zu den wichtigsten Künstlern der Welt. Vier Mal nahmen sie an der documenta, der Weltkunstschau für zeitgenössische Kunst in Kassel, teil. Mit ihren Schwarz-Weiß-Aufnahmen haben sie eine neue sachliche Fotografie geprägt, die Schule gemacht hat. 1976 übernahm Bernd Becher eine Professur an der Kunstakademie in Düsseldorf und teilte sie sich mit seiner Frau. Die weltweit erfolgreichsten Fotografen gingen bei ihnen in die Lehre: Thomas Struth, Andreas Gursky, Thomas Ruff - sie sind die berühmtesten Vertreter der "Becher-Schule".
Passion fürs Ruhrgebiet
Dabei muss es für die am 2. September 1934 geborene Hilla Becher zunächst ein Kulturschock gewesen sein, als sie in den 50er Jahren von Potsdam nach Düsseldorf zog. Dort lernte sie ihren Mann kennen, der selbst Sohn einer Bergarbeiterfamilie aus dem Siegerland war. Das nahegelegene Ruhrgebiet war damals ein fotografisch unerforschtes Terrain. Die ergrauten Hausfassaden und die Industrieriesen nahmen die meisten Menschen nur im Vorbeifahren von der Autobahn aus wahr.
Besonders bei den Hüttenwerken sei es schwer gewesen, eine Fotografiererlaubnis zu erhalten. Aber es hätte immer wieder Unterstützer gegeben, die die Idee ihrer Fotografie verstanden und ihnen dann doch die Türen geöffnet hätten. Das Ruhrgebiet alleine reichte dem Paar aber nicht als Forschungszone. Sie weiteten ihr Terrain aus: nach Belgien, Nordfrankreich, Wales, Luxemburg und schließlich auch in die USA.
Letzte Reise nach England
Es dauerte eine Weile, bis sie mit ihrer Kunst Geld verdienten konnten. Im Auto fuhren sie von Objekt zu Objekt. Um Übernachtungskosten zu sparen, hätten sie oft im Auto geschlafen. Mit dabei sei auch ihr gemeinsamer Sohn gewesen, so Hilla Becher. "Wenn jemand hinterher gefragt hat, ob sich das gelohnt hat, mussten wir sagen: Natürlich hat sich das nicht gelohnt."
Die Passion für die Architektur der Bauten ließ sie immer weitermachen. Als eines ihrer letzten Projekte hat sich Hilla Becher nach England aufgemacht, um dort Gasometer zu fotografieren. Immer habe sie Angst gehabt, die Bauten seien abgerissen, bevor sie sie aufnehmen konnte, sagte sie. Gelohnt hat sich ihre Arbeit in mehrfachem Sinne. Hilla Becher hat Fotografiegeschichte geschrieben und mit ihrem Werk ein Stück Arbeiterkultur in Deutschland und der Welt vor dem Verschwinden gerettet. Ihre Bilder sind wie ein Gedächtnis einer Zeit, an die sich bald niemand mehr erinnern wird.