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PolitikPolen

Hoffnung in Brüssel nach der Wahl in Polen

16. Oktober 2023

Der Regierungswechsel in Polen sei ein Sieg für die liberale Demokratie, heißt es in Brüssel. Erleichterung bei Kritikern der bisherigen PiS-Regierung. Bernd Riegert berichtet aus Brüssel.

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Die polnische Flagge weht neben der EU-Flagge
Wiederannäherung möglich: Die scheidene Regierung warf Brüssel eine diktatorische Politik vor, nahm aber die Zuschüsse gerne anBild: Beata Zawrzel/NurPhoto/picture alliance

Offiziell hat sich die EU-Kommissarin für Grundwerte, die Tschechin Vera Jourova, noch nicht zum Wahlsieg der Opposition in Polen geäußert, aber ihr dürfte ein Stein vom Herzen gefallen sein. Jahrelang hat sie sich mit der nationalkonservativen PiS-Regierung in Warschau über den gefährdeten Rechtsstaat in Polen gestritten. Die PiS weigerte sich eine Justizreform, die der Europäische Gerichtshof für unrechtmäßig erklärt hatte, zurückzunehmen und provozierte eine Reihe von Verfahren aus Brüssel. Schließlich strich die EU Polen die Auszahlung von Finanzmitteln aus dem gemeinsamen Haushalt, Geldstrafen wurden wegen Nichtbeachtung von Urteilen des Gerichtshofs in Luxemburg verhängt. Die anderen EU-Mitgliedsstaaten begannen ein Verfahren gegen Polen, kamen damit aber nicht weit. Aus Warschau kamen derweil EU- und Deutschland-feindliche Töne. Das dürfte nach einem Regierungswechsel hin zu einer Dreierkoalition aus Christdemokraten, Links-Liberalen und Grünen bald ein Ende haben.

Polen | Parlamentswahl | Donald Tusk beim Wahlabend der KO
Bald wieder Premier? Donald Tusk könnte ein Dreier-Bündnis führen und eine politische Wende in Polen einleitenBild: REUTERS

Kann der Einfluss der Nationalkonservativen zurückgedrängt werden?

Pjotr Buras vom Europäischen Rat für Außenpolitik (ECFR), einer internationalen Denkfabrik, geht davon aus, dass eine Regierung unter dem Chef der Bürgerplattform, Donald Tusk, eine konstruktivere Rolle in der EU spielen wird, um "die Beziehungen zu den wichtigsten Partnern zu reparieren und das Vertrauen in eine pro-europäische Haltung wiederherzustellen". Mit einer starken PiS-Opposition werde Europapolitik in Polen aber auch weiterhin hart umstritten bleiben. Die neue Regierung werde "ernste Schwierigkeiten haben, den Einfluss der PiS zurückzudrängen und die Rechtsstaatlichkeit wiederherzustellen." Für einige Gesetze sei im Sejm, dem polnischen Parlament, eine Dreifünftelmehrheit nötig, die die neue Koalition mit vermutlich 241 von 460 Sitzen nicht haben werde.

Polen Verfassungsgericht in Warschau
Ein Regierungswechsel könnte den jahrelangen Streit mit der EU um die Besetzung von Richterposten beenden. (Im Bild: das Verfassungsgericht in Warschau)Bild: Kacper Pempel/REUTERS

Gelder an Polen könnten wieder fließen

Der FDP-Europaabgeordnete Moritz Körner, der sich in Brüssel für seine liberale Fraktion mit der Rechtsstaatlichkeit in Polen und auch Ungarn beschäftigt, ist zuversichtlich, dass sich in Warschau bald etwas ändern wird. "Sobald sichergestellt ist, dass die rechtsstaatlichen Prinzipien in Polen wieder voll gelten, sollten die EU-Mittel an Polen regelkonform fließen", meinte Körner gegenüber der DW. Die Wende in Polen sei auch für andere "Möchtegern-Autokraten" eine Warnung, so der liberale Europa-Abgeordnete. "Die sich abzeichnende Abwahl der polnischen Demokratiedemolierer ist eine Hiobsbotschaft für Viktor Orban. Der Rat ist nun gefordert, das bisher von Polen blockierte Artikel-7-Rechtsstaatsverfahren gegen Ungarn so schnell wie möglich wieder auf die Tagesordnung zu setzen." Bislang hatte der ungarische Premierminister Viktor Orban sich auf Polen als national-konservativen Partner verlassen können, der die notwendige Einstimmigkeit bei den Verfahren nach Artikel 7 der Lissabonner Verträge verhinderte. Dieses Verfahren kann in letzter Konsequenz zu einer Suspendierung der EU-Mitgliedschaft führen, weil Orban Medien, Wissenschaft, Wirtschaft und Justiz unter seine Kontrolle gebracht hat.

Visaaffäre schadet Glaubwürdigkeit der PiS

"Triumph für Demokratie"

Pjotr Buras vom Warschauer Büro des EFCR sagte der DW, die neue Regierung werde wahrscheinlich noch einige Woche brauchen, bis sie ins Amt komme und dann versuchen, die Gefolgsleute der PiS von Schlüsselpositionen in Verwaltung, Medien, staatlichen Unternehmen und Justiz zu entfernen. Die Wählerinnen und Wähler hätten das Vertrauen in die PiS-Regierung nach acht Jahren auch verloren, weil Sozialleistungen nicht mehr wie versprochen flossen oder unterfinanziert waren. "Die Wahl ist ein Triumph sowohl für die Demokratie als auch für den Liberalismus", so Piotr Buras. "Mit der höchsten Wahlbeteiligung seit dem Ende des Kommunismus 1989 haben die Wähler gezeigt, dass sie sich um die Zukunft ihres Landes sorgen und sie neu gestalten wollen. Die Opposition gewann, obwohl die Wahlen an sich höchst unfair waren. Die Regierungsparteien haben staatliche Ressourcen für ihre Zwecke missbraucht und scheiterten trotzdem." Der staatliche öffentlich-rechtlich Rundfunk hatte zum Beispiel massiv Propaganda für die PiS-Partei gemacht und deren Behauptungen, Polen solle von Berlin und Brüssel unterdrückt werden, unterstützt.

Verhältnis zur Ukraine könnte sich entspannen

Die grüne Europaabgeordnete Terry Reintke, die als Ko-Vorsitzende der grünen Fraktion die Entwicklung in Polen seit vielen Jahren beobachtet, äußerte sich erleichtert über den wahrscheinlichen Regierungswechsel in Warschau. Der könne auch der festgefahrenen Debatte über eine Reform der Asylverfahren und der Einwanderung in die EU neuen Schwung geben. "Beim Migrationspaket geht es darum, wie wir ein geordnetes und rechtsstaatliches Verfahren hinbekommen, und da hat Polen im Rat überhaupt keine konstruktive Rolle gespielt. Ich hoffe, dass sich das […] jetzt ändern wird." Polen und Ungarn hatten beim letzten EU-Gipfel im spanischen Granada vor zwei Wochen erklärt, dass sie neue, mit Mehrheit beschlossene Asylregeln in der EU auf keinen Fall umsetzen würden.

Europaabgeordnetin der Grünen, Terry Reintke
Terry Reintke zu Besuch in Warschau: Einsatz für LGBTQ-Rechte. (Archiv 2021)Bild: DW

Auch die zunehmenden Spannungen zwischen Polen und der Ukraine, die sich über den Export von ukrainischem Getreide nach bzw. durch Polen gestritten hatten, dürften sich legen, meinte Terry Reintke gegenüber der DW: "Ich erwarte, dass Polen unter einer pro-europäischen Regierung ein verlässlicher Partner und solidarischer Unterstützer seines Nachbarlandes wird, das seit anderthalb Jahren unter dem blutigen russischen Angriffskrieg leidet. Die Zeit der destruktiven Politik der regierenden PiS-Partei auf europäischer Ebene ist nun hoffentlich vorbei."

Porträt eines Mannes mit blauem Sakko und roter Krawatte
Bernd Riegert Korrespondent in Brüssel mit Blick auf Menschen, Geschichten und Politik in der Europäischen Union