Hofreiter: "Hören Sie auf, auf der Bremse zu stehen!"
14. April 2022Dem Grünen-Politiker Anton Hofreiter sind die heftigen Eindrücke, die er bei seinem kurzen Besuch im Kriegsland Ukraine gewonnen hat, auch nach seiner Rückkehr noch anzumerken. Der Vorsitzende des Europa-Ausschusses des Bundestages schildert im Interview mit der DW, wie grauenhaft die Erzählungen waren, die er etwa von ukrainischen Soldaten gehört hat: "Wir haben unter anderem einen Soldaten getroffen, der in der Hafenstadt Mariupol gekämpft hat und der Überzeugung war, dass dort Gilftgas eingesetzt worden ist. Allerdings ist das noch nicht verifiziert." Ein weiterer Soldat, mit dem Hofreiter sprechen konnte, hat im Kampf ein Bein verloren.
Ukrainer wollen in erster Linie schwere Waffen
Zusammen mit weiteren zwei Ausschussvorsitzenden des Bundestages war Hofreiter auf Einladung von Abgeordneten des ukrainischen Parlaments, der Rada, in den Westen des Landes gereist. Und nahm von dort mit, dass Deutschland seine Hilfe massiv verstärken müsse, um der Ukraine wirklich beizustehen. Deutschland müsse endlich auch schwere Waffen liefern, auch Panzer, das sei die wichtigste Forderung der Ukrainer gewesen. Und sich auch bereit erklären, schärfere Sanktionen vor allem bei Gas-, Öl- und Kohlelieferungen ins Auge zu fassen.
Aber die deutsche Regierung zögert noch, sowohl bei den Waffen, als auch, vor allem, beim Bezug von russischem Gas. Hofreiter sieht hier vor allem Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) in der Pflicht: "Ich kann nur spekulieren, warum der Kanzler so auf der Bremse steht. Ich kenne keinen vernünftigen Grund. Aber mit seinem Handeln schadet der Kanzler nicht nur der Lage in der Ukraine, sondern er schadet damit ganz massiv dem Ansehen Deutschlands in Europa und in der Welt." Und dann spricht Hofreiter im DW-Gespräch den Kanzler quasi direkt an: "Hören Sie endlich auf, auf der Bremse zu stehen, und geben sie den Weg frei." Wohlgemerkt: Hofreiter ist Abgeordneter der Grünen, also einer der drei Regierungsparteien in Deutschland.
Steinmeier in der Ukraine nicht erwünscht
Es sind aufregende, irritierende Tage, auch im Verhältnis der Ukraine zu Deutschland. So hatte etwa Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier Mitte der Woche einen Besuch beim Präsidenten der Ukraine, bei Wolodymyr Selenskyj in Kiew geplant, zusammen mit den Präsidenten Polens, Litauens, Estlands und Litauens. Aber das war in der Ukraine offenbar nicht erwünscht. Schon lange ist der Ukraine ein Dorn im Auge, wie gut die Kontakte waren, die Steinmeier als langjähriger deutscher Außenminister zum russischen Präsidenten Putin pflegte. Außerdem: Steinmeier kann als Präsident keine politischen Entscheidungen treffen. Selenskyj will deshalb lieber mit Kanzler Olaf Scholz sprechen, der aber immer noch offen lässt, wann er denn nach Kiew reist. Hofreiter sagt zum Eklat um das deutsche Staatsoberhaupt: "Ich halte das für einen Fehler, dass Herr Steinmeier ausgeladen worden ist. Aber man darf eines nicht vergessen: Die Ukraine steht im Krieg, steht massiv unter Druck. Sie wünschen sich keine symbolischen Solidaritätsgesten mehr, sondern sie wünschen sich konkretes Handeln."
Scholz zeigt sich über die Absage "irritiert"
Der Bundeskanzler aber schweigt in diesen Tagen. Am Mittwoch sagte er lediglich in einem Radio-Interview, die Absage an die Adresse Steinmeiers habe ihn "irritiert". Konkreter wurde da schon Vizekanzler Robert Habeck von den Grünen. Er sagte der Funke Mediengruppe: "Jetzt sollten wir alle schnell zusehen, dass wir das Problem lösen und nicht eskalieren lassen. Dafür wurden Telefone ja erfunden." Die Bundesregierung stünde in einem ständigen und dauernden Austausch mit der ukrainischen Regierung. Dennoch habe die ukrainische Seite einen diplomatischen Fehler gemacht, so der Grünen-Politiker.
Steinmeier: "Der Krieg wird auch unser Leben verändern."
Steinmeier absolvierte unterdessen am Mittwochabend seinen ersten Auftritt nach dem Eklat. Bei einer Ausstellungseröffnung im Jüdischen Museum in Berlin ging er auch auf die russischen Gewalttaten in der Ukraine ein: "Dieser Krieg erschüttert uns alle, er bedrückt und er bedrängt uns. Er fordert uns heraus", so Steinmeier. Solidarität oder die Aufnahme von Flüchtlingen seien gut, aber: "Es geht um mehr: Auch um die Unterstützung derjenigen, die den tapferen Kampf gegen die Angreifer führen, mit Schutzausrüstung, und ja: auch mit Waffen. Und es geht um Sanktionen, um die schärfsten, die Europa jemals beschlossen hat." Und Solidarität, so Steinmeier, bedeute auch für die Deutschen, Lasten zu tragen: "Und viel spricht dafür, dass wir sie noch lange tragen müssen und sie auch unser Leben hier verändern werden."
Seine Ausladung durch die Führung in der Ukraine erwähnte Steinmeier mit keinem Wort.