Hohe Hürden für Auslandsspanier
25. April 2019Sandra Arjona lebt seit elf Jahren in Deutschland. Die 49-jährige Spanierin ist politisch interessiert. Ihr ist es wichtig, sich politisch zu beteiligen. Aber bei der spanischen Parlamentswahl am 28. April wird sie voraussichtlich nicht abstimmen dürfen. Und sie ist nicht die Einzige. Seit einer Wahlrechtsreform 2011 müssen im Ausland lebende Spanier eine lange Odyssee hinter sich bringen, um wählen zu dürfen.
Das Ziel der Reform war, Wahlbetrug bei Abstimmungen aus dem Ausland zu verhindern. "Dabei wurde der Kontext der Krise nicht berücksichtigt", sagt der Politikwissenschaftler Pablo Simon von der Universität Carlos III in Madrid. Anfang des Jahrzehnts hatte die hohe Arbeitslosigkeit in Spanien hunderttausende Bürger ins Ausland getrieben.
Etwa eine Millionen Spanier haben seit 2010 das Land verlassen, ist in der offiziellen Statistik zu lesen. Die Dunkelziffer jedoch ist hoch. Viele verlassen das Land, ändern aber nie offiziell ihren Wohnort, um ihre Krankenversicherung behalten zu können. Denn eine von der konservativen Regierung 2012 eingeführte Reform des Gesundheitssystems schließt Spanier von der öffentlichen Krankenversicherung aus, die mehr als 90 Tage pro Jahr im Ausland verbringen. Die Begründung des Kabinetts des damaligen Regierungschefs Mariano Rajoy: Diese Menschen könnten ja dort Gesundheitsleistungen erhalten, wo sie leben - zum Beispiel in Deutschland.
Für die Spanier, die das Land verlassen haben, aber nie offiziell ihren Wohnsitz geändert haben, gibt es eigentlich nur eine Möglichkeit, an der Wahl teilzunehmen: Sie müssen für die Abstimmung nach Spanien zurückkehren.
Zu viele Hürden
Aber auch für offiziell im Ausland gemeldete Spanier ist es kompliziert, zu wählen. Früher konnten sie - wie auch ihre Landsleute in Spanien - einfach per Briefwahl abstimmen. Aber nun müssen sie darum bitten, an der Wahl teilnehmen zu dürfen. Sie müssen beim nächstgelegenen Konsulat persönlich vorsprechen, das für viele aber weit von ihrem Wohnsitz entfernt ist. In Deutschland gibt es beispielsweise nur sechs spanische Konsulate. Anschließend werden ihnen die Unterlagen zur Wahl-Registrierung zugeschickt, die sie danach zurückschicken müssen. Erst dann bekommen sie die Briefwahlunterlagen.
Theoretisch ist auch eine Online-Registrierung möglich, in der Praxis funktioniert die aber oft nicht. Als beispielsweise Ana Andrades, die in Köln lebt, im Internet den Antrag stellen wollte, streikte das Onlineformular und die 29-Jährige musste das Ganze per Fax erledigen. Sie und ihr Ehemann Miguel Gonzales haben am selben Tag die Wahlunterlagen angefordert. Aber die Mühlen mahlen in Spanien offenbar unterschiedlich langsam: Sie hat mittlerweile ihre Unterlagen bekommen - er noch nicht.
Seit der Reform ist die Wahlbeteiligung von Auslandsspaniern von durchschnittlich 40 Prozent auf unter 10 Prozent gesunken. Das spanische Statistik-Institut gab Anfang des Monats bekannt, dass diesmal nur 8,4 Prozent aller im Ausland lebender Spanier Stimmungszettel beantragt hätten.
Und selbst für viele Spanier, die den Weg ins Konsulat auf sich genommen und sich registriert haben, ist nicht sicher, dass sie wählen können. Das zeigt der Fall von Sandra Arjona, die in Saarbrücken lebt. Sie zahlte 140 Euro für das Ticket, um zum 180 Kilometer entfernten spanischen Konsulat nach Frankfurt am Main zu fahren. Dort wurde ihr allerdings gesagt, man sei zu ausgelastet, um sich um ihren Fall zu kümmern, und dass sie ihre Unterlagen für die Adressänderung per Fax nach Spanien schicken solle. "Aber wer hat denn heutzutage noch ein Faxgerät?", fragt Arjona.
Die Wahl am 28. April wäre nicht die erste, bei der Sandra Arjona unfreiwillig aussetzen muss. Bei einer der letzten beiden Parlamentswahlen kamen die Wahlunterlagen nie bei ihr an. Arjona vermutet, dass der Zusteller keine Benachrichtigungskarte in ihrem Briefkasten hinterließ. Sie ist noch heute wütend. "Nur weil dieser Typ seine Arbeit nicht richtig gemacht hat, habe ich nicht von meinem Wahlrecht Gebrauch machen können."
Verlorene Stimmen - vor allem die Linke
Sandra Arjona ist nicht alleine mit diesem Problem. Bei dem komplizierten Registrierungsprozess gibt es viele Fehlerquellen. Maria Rial ist die Berliner Sprecherin von "Marea Granate", der "Weinroten Flut". Die internationale, unabhängig und feministischen Bewegung wurde während der Finanzkrise von spanischen Migrantinnen und Migranten gegründet. Ziel ist es, Landsleuten zu helfen, in der neuen ausländischen Heimat Fuß zu fassen.
Die Hürden für Spanier im Ausland an Wahlen teilnehmen zu können, seien zu hoch, sagt Rial. "Und die unterschiedlichen Regierungen, die wir seither hatten, haben sich nicht genug bemüht, das zu ändern."
Das ist insofern problematisch, weil durch die Hürden das Wahlergebnis möglicherweise verzerrt wird. "Wenn wir bei Spaniern in und außerhalb Spaniens die gleiche soziodemografische Struktur hätten, dann würde das keine signifikante Auswirkung auf die Wahlergebnisse haben", sagt Politologe Simon. "Wir wissen aber: Die Leute, die im Ausland leben, sind im Schnitt jünger, gebildeter und - wenn wir uns Wahlergebnisse aus den vergangenen Jahren angucken - eher links gerichtet."
Die meisten Umfragen sagen - trotzdem - für die Parlamentswahl einen Sieg der Sozialisten voraus, gefolgt von der konservativen PP, der Mitte-Rechts-Partei Ciudadanos und der linken Unidas Podemos. Die rechtsextreme Vox-Partei wird es wohl zum ersten Mal ins Parlament schaffen.
Die beiden Kölner Spanier Miguel Gonzales und Ana Andrades wünschen sich eigentlich eine Zukunft in ihrem Heimatland. "Aber dort gibt es so viele Veränderungen in der Politik und viel Korruption. Ich weiß nicht, wann wir zurückkehren werden", sagt Gonzales, während er immer noch auf die Wahlunterlagen warten muss. Falls der Stimmzettel nicht mehr rechtzeitig ankommt, wird er wohl nicht mitbestimmen können, wie die politische Zukunft seines Landes aussieht - so wie viele andere Auslandsspanier auch nicht.