Hollande: Spionageaktionen "inakzeptabel"
24. Juni 2015Die hohe Kunst der Diplomatie kennt eine Bestätigung ohne Ja-Wort: das abgestufte Dementi. Dieser rhetorischen Finesse bediente sich Washington, nachdem die Enthüllungsplattform Wikileaks berichtet hatte, Frankreichs Präsident François Hollande sei ebenso wie seine beiden Vorgänger im Amt vom US-Geheimdienst NSA ausspioniert worden.
Das Weiße Haus äußerte sich ausschließlich in zwei grammatischen Zeitformen: dem Präsens und dem Futur. "Wir nehmen die Kommunikation von Präsident Hollande nicht ins Visier und werden sie nicht ins Visier nehmen", sagte der Sprecher des Nationalen Sicherheitsrates, Ned Price. Was fehlte, war die Vergangenheitsform. Dies darf als stillschweigendes Eingeständnis der entsprechenden Praxis in früheren Zeiten gewertet werden.
Es gebe grundsätzlich keine Überwachungen im Ausland, sofern nicht entsprechende Interessen der Nationalen Sicherheit bestünden, fügte der US-Sprecher hinzu. "Dies gilt für Normalbürger ebenso wie für politische Führungskräfte."
"Inakzeptabel - aber keine Krise"
Mehrere Nachrichtenagenturen meldeten unter Berufung auf diplomatische Quellen, die US-Botschafterin in Paris, Jane Hartley, sei einbestellt worden. Präsident Hollande hatte das Vorgehen der NSA zuvor als "inakzeptabel" verurteilt. Frankreich werde keine Machenschaften tolerieren, die seine Sicherheit infrage stellen, teilte der Élyséepalast mit. Dort hatte Hollande sich mit mehreren Ministern und Geheimdienstlern getroffen, um über den Inhalt der Veröffentlichungen zu sprechen.
Regierungssprecher Stéphane Le Foll sagte dem Sender i-Télé: "Es ist schwer zu akzeptieren, dass es unter Verbündeten solche Praktiken geben kann, besonders beim Abhören von Präsidenten der Republik." Zugleich versicherte Le Foll, dass die Abhöraffäre "keine Krise" zwischen Frankreich und den USA auslösen werde. "Es gibt genug gefährliche Krisen auf dieser Welt."
Abgekühltes Verhältnis
Durch den NSA-Skandal hat sich das Verhältnis der USA zu mehreren befreundeten Staaten abgekühlt. Die bekanntgewordenen Abhörmaßnahmen von Staatschefs dürften diese selbst zwar kaum überraschen, doch sie düpieren das Führungspersonal öffentlich im eigenen Land.
Pikant an den neuesten Enthüllungen ist die zeitliche Nähe zur jüngsten Geheimdienstreform in Frankreich, die den Sicherheitsbehörden weitreichende Überwachungsrechte bei minimaler Kontrolle einräumt. Kritiker rücken die im Mai von der Nationalversammlung beschlossenen Gesetze in die Nähe der NSA-Spionage.
"Ziele mit hoher Priorität"
Wikileaks hatte am Dienstagabend streng geheime Dokumente öffentlich gemacht, wonach die NSA sowohl Hollande wie auch seine beiden Vorgänger Nicolas Sarkozy und Jacques Chirac über Jahre hinweg ausgeforscht hat. Der US-Lauschangriff dauerte demnach mindestens von 2006 bis 2012. Das neueste Dokument stammt den Berichten zufolge vom 22. Mai 2012, es entstand also wenige Tage nach der Amtsübernahme des Sozialisten Hollande.
Laut Norddeutschem Rundfunk (NDR) befindet sich in den Wikileaks-Daten eine Liste mit französischen Telefonnummern, die aus einer NSA-Datenbank stammen sollen und als "Ziele mit hoher Priorität" beschrieben werden. Wikileaks zufolge steht darauf auch die Mobilfunknummer des Präsidenten.
Die Nummern seien offenbar Teil der sogenannten Selektoren, also jener Suchbegriffe, anhand derer die NSA weltweite Datenströme filtere, heißt es im Nachrichtenportal "tagesschau.de".
Amtshilfe aus Bad Aibling
Der deutsche Auslandsgeheimdienst BND soll der NSA über Jahre geholfen haben, europäische Firmen und Politiker auszuspähen. Die NSA lieferte dem BND demnach für die Überwachung des Datenverkehrs in seiner Abhörstation in Bad Aibling viele tausend Telefonnummern oder IP-Adressen von Computern.
Ob die nun von Wikileaks veröffentlichten Selektoren auch in Bad Aibling eingesetzt wurden, ist laut "Süddeutscher Zeitung" und NDR unklar. Eine Liste mit rund 40.000 vom BND aussortierten Suchbegriffen liegt im Bundeskanzleramt. Der Umgang mit diesem brisanten Dokument sorgt in Berlin für heftigen Streit. Die USA wollen eine Herausgabe der Suchbegriffe an deutsche Parlamentarier verhindern.
jj/stu (dpa, afp)