Wettrennen um das Auto der Zukunft
3. März 2016Die Prognose klingt ungewöhnlich: Branchen-Beobachter erwarten, dass sich selbstfahrende Autos, wenn sie einmal auf dem Markt sind, in wärmeren Ländern schneller durchsetzen werden. Denn, so die Argumentation der Experten, dort seien die Wetterbedingungen weniger komplex und ein Auto müsse daher viel weniger Daten verarbeiten, wenn es ohne Fahrer unterwegs ist.
Doch das Wettrennen zu mehr Vernetzung und Automation wird von viel mehr Faktoren als dem Wetter entschieden. Und die großen Automobil-Hersteller sind mitten drin in einem Kopf-an-Kopf-Rennen, um ihre Technologien für das vernetzte Auto der Zukunft auf Touren zu bringen.
Infotainment-Systeme und die Möglichkeit, das Smartphone über das Armaturenbrett mit dem Wagen zu vernetzen, wie Apple CarPlay und Android Auto, sind die ersten Vorstöße in diese schöne, neue Welt der allumfassenden Konnektivität.
Das lässt sich auf dem Genfer Automobilsalon besichtigen. Der Ferrari GTC4 Lusso etwa verfügt über einen 10 Zoll-HD-Touchscreen, maßgeschneidert für den Betrieb von Apple CarPlay. Die neue E-Klasse von Mercedes-Benz trumpft mit einer pfiffigen Sicherheitsfunktion auf: dem wohl schnellsten automatischen Brmessystem zur Vermeidung von Unfällen, das es bisher in einem Modell der Stuttgarter Autobauer gab.
Mercedes ist außerdem mit seinem F 015-Konzeptwagen bei den Vorreitern des autonomen Fahrens ganz vorn dabei. Der Rest der Branche muss allerdings einiges tun, um den Anschluss nicht zu verlieren.
Dreigeteilter Markt
Der Markt ist in drei Segmente unterteilt, erklärt Darrin Shewchuk, Kommunikations-Chef beim US-Konzern Harman, der nicht nur für seine Audiosysteme bekannt ist, sondern auch als Spezialist für automobile Vernetzunglösungen gilt:
"Etwa ein Viertel der Fahrzeuge hat irgendeine Art von integrierten Infotainment-Systemen. Ein weiteres Viertel verfügt zwar über einfache Anschlussmöglichkeiten für Mobiltelefone, sind aber nicht vernetzungsfähig und haben kein Navigationssystem", sagt Shewcuk. "Und der Rest, die andere Hälfte des globalen Marktes, die hat überhaupt nichts im Angebot."
Die meisten Hersteller in Europa und den USA beschreiten bereits seit einiger Zeit den Weg zur Entwicklung des vernetzten Autos der Zukunft. Europäische Luxusmarken wie BMW, Volvo und Mercedes arbeiten alle mit Hochdruck an Projekten für selbstfahrende Fahrzeuge und haben bereits einige ihrer Modelle mit halbautonomer Technik ausgestattet. US-Autohersteller arbeiten ebenfalls mit Hochdruck an Lösungen. Ford hat beispielsweise angekündigt, noch in diesem Jahr die weltgrößte Flotte von selbstfahrenden Testfahrzeugen auf die Straße zu bringen.
Doch am Ende könnten es die europäischen Verkehrsaufsichtsbehörden sein, die auf dieser Reise in die automobile Zukunft den Fuß auf dem Bremspedal haben, denn ihre US-Pendants sind deutlich flexibler. So hat hat die US-Verkehrsaufsichtsbehörde NHTSA vor einem Monat festgestellt, dass die künstliche Intelligenz, die hinter dem selbstfahrenden System des Google-Fahrzeugs steckt, juristisch durchaus als Fahrer eingestuft werden könnte. Diese zentrale juristische Klärung ist Voraussetzung für die endgültige Zulassung selbstfahrender Autos.
An Boden verloren?
Ferdinand Dudenhöffer vom CAR-Center of Automative Research an der Universität Duisburg-Essen meint, dass europäische Länder wie Deutschland Gefahr laufen, den Anschluss zu verlieren.
"Während man in Brüssel wegen des Dieselgate-Skandals von VW noch an Lösungen für die Autos von gestern bastelt, sind die USA bereits auf dem nächsten Level", meint Dudenhöffer.
Andere glauben dagegen, es sei unmöglich, die Gewinner von Morgen vorherzusehen: Niemand könne heute wissen, welcher Hersteller am Ende das Rennen im Bereich der autonomen Automobile machen wird. Eins ist aber klar: Den Protagonisten aus der klassichen Automobile-Industrie stehen Hightech-Konzerne wie Google und Apple gegenüber.
"Dieser Kampf wird noch eine Weile weiter gehen", meint der Branchen-Experte Stefan Bratzel von der Fachhochschule Bergisch Gladbach. "Die Chancen, wer ihn gewinnen kann, liegen aber immer noch bei 50 zu 50 Prozent."