Hongkong: Polizeigewalt, das TV und die Zensur
17. Oktober 2014Die im Westen auf vielen Kanälen verbreitete Videoaufnahme über die Misshandlung eines Hongkonger Demonstranten durch Polizisten war auch im Hongkonger Fernsehen zu sehen. Gezeigt wird, wie Polizisten einen Demonstranten in Handschellen in eine dunkle Ecke zerren und schlagen und treten. Der Vorfall ereignete sich am frühen Mittwochmorgen (15.10.2014), nachdem die Polizei gegen den Widerstand der Demonstranten Straßensperren entfernt hatte.
Der Videokommentar enthielt dementsprechende Aussagen wie "in eine dunkle Ecke gezerrt" und "gestoßen und getreten". Allerdings war dieser Kommentar nach sieben Uhr Ortszeit an demselben Tag nicht mehr zu hören. Erst am Nachmittag wurde der Kommentar "Polizisten haben vermutlich Gewalt eingesetzt" hinzugefügt.
Zu dieser mehrfach geänderten Videobearbeitung im Laufe des Tages gibt es in Hongkonger Online-Medien eine inoffizielle Stellungnahme durch Keith Yuen Chi-wai, Leiter von TVB News. Er tritt nur mit seiner - von wem auch immer mitgeschnittenen - Stimme auf. Er sagt, dass es in dem Video um einen schwerwiegenden Vorfall geht, mit möglichen rechtlichen Konsequenzen für die Polizisten. Darum müsse der Sender sehr vorsichtig sein. Er bezweifelt auch, dass die Beschreibungen der Journalisten objektiv gewesen seien.
Journalisten gegen Selbstzensur
Dem widerspricht Shum Yee-lan, Vorsitzende der Hongkonger Journalistenvereinigung (HKJA), gegenüber der Deutschen Welle. “Die Benutzung von Adjektiven könnte auf subjektive Färbung schließen lassen. Aber 'stoßen' und 'treten' sind objektive Tatsachenbeschreibungen. Um sich abzusichern, hätte der Sender ja Wendungen wie 'vermutlich' oder 'möglicherweise' benutzen können.“ Im übrigen könne eine Videofilm ohne Begleitkommentar wohl kaum als ernsthafte journalistische Berichterstattung gelten.
46 Journalisten von TVB kritisierten am selben Tag in einem offenen Brief das Vorgehen ihres Senders. In der neuen Fassung sei der Fernsehbeitrag inakzeptabel. Sie äußern die Hoffnung, dass die Hongkonger Gesellschaft die Pressefreiheit schätze, die sie, die Journalisten, in Gefahr sähen.
Die Journalistenvereinigung verlangte eine offizielle Erklärung von TVB über die Bearbeitung des Videobeitrags. Die Reporter hätten das uneingeschränkte Recht, über das Vorgehen der Polizei zu berichten. "Selbstzensur ist schädlich für Hongkong", heißt es in der Erklärung der Journalistenvereinigung.
In einem früheren Interview hatte Shum Yee-lan gegenüber der DW davon gesprochen, dass ihr das Problem der Selbstzensur in Hongkong immer mehr Sorgen mache. "Früher gab es in Hongkong viele verschiedene Stimmen, von der konservativen wie von der pro-demokratischen Seite. Jetzt ist die Medienszene sehr monoton geworden." Im Pressefreiheitsindex von Reporter ohne Grenzen 2014 steht Hongkong auf Platz 61, Platz 18 war es im Jahr 2002.
Ominöse Angriffe auf Medienmitarbeiter
Die Hongkonger Presse musste 2014 mit verschiedenen Attacken fertig werden. Im Januar wurde Kevin Lau als Chefredakteur der angesehenen Zeitung "Ming Pao" abgesetzt, Ende Februar wurde er auf offener Straße überfallen und schwer verletzt. Im März wurden zwei leitende Mitarbeiter der Hongkonger Morning News Media Group überfallen, die eine Zeitungsneugründung vorbereitet.
Für Beobachter in Hongkong sind die Angriffe Ausdruck einer gestiegenen generellen Bedrohung für kritische Journalisten. Ebenfalls 2014, im Februar, wurde die regierungskritische Radiomoderatorin Li Wei-ling gefeuert. Schließlich wurde im Juli die Seite des pro-demokratischen Nachrichtenportals "House News" geschlossen, sämtliche Inhalte wurden gelöscht. Auf der Seite ist nur ein Brief von Mitbegründer Tony Tsoi zu lesen, in dem er schreibt, "Ich habe Angst."
Shum Yee-lan sieht eine Veränderung seit 2003. Nach dem damaligen Massenprotest gegen geplante Notstandsgesetze, die die massive Einschränkung von Bürgerrechten im Falle von "Verrat", "Unterwanderung", "Abspaltung" und ähnlichen Krisen vorsahen, habe die Führung reagiert. Zwar seien die Gesetze angesichts des Protests von 500.000 Menschen nicht verabschiedet worden. "Aber die Pressefreiheit hat danach deutliche Einbußen erlitten", erklärt die Journalistensprecherin. "Das Problem ist, die Medien bekommt nicht nur Druck von draußen. Sie haben auch angefangen, sich selbst zu zensieren."