"Wir wollen Frieden und Stabilität"
10. März 2014Deutsche Welle: Vor etwa sechs Jahren hat sich das Kosovo von Serbien losgelöst und ist seitdem unabhängig. Was hat man seitdem erreicht und was sind die größten Herausforderungen des heutigen Kosovo?
Enver Hoxhaj: Das Kosovo ist ein sehr junger Staat. Dennoch kann das Land seit 2008 als ein Modell für die politische Stabilität und Integration der Minderheiten gesehen werden. Im wirtschaftlichen Bereich hat das Kosovo seit der Unabhängigkeit ein jährliches Wachstum von rund fünf Prozent verzeichnet, obwohl das Land immer noch mit der hohen Arbeitslosigkeit zu kämpfen hat. International wurde das Kosovo inzwischen von 106 Ländern anerkannt und ist Mitglieder des IWF, der Weltbank und in vielen anderen internationalen Organisationen und Institutionen. Unsere Priorität bleibt die wirtschaftliche Entwicklung und die europäische Perspektive.
Das Kosovo ist aber immer noch kein Mittglied der UNO. Wann werden sie den Antrag für die UNO-Mitgliedschaft stellen?
Durch die Anerkennung seitens der anderen Staaten sowie durch die Mitgliedschaft des Kosovo in vielen internationalen Organisationen und Institutionen ist das Land gestärkt worden. Zurzeit sind wir dabei, mögliche Szenarien für die Antragstellung für die UNO-Mitgliedschaft zu studieren. Ich bin davon überzeugt, dass niemand den Lauf der Geschichte anhalten kann und eines Tages werden wir sicherlich zu UNO gehören. Wir arbeiten sehr eng mit unsren Partnern zusammen, und sobald die Zeit reif ist, werden wir den Antrag stellen.
Am vergangenen Freitag (07.03.2014) haben Sie sich in Berlin mit dem deutschen Außenminister Frank-Walter Steinmeier getroffen. Wie sehen Sie die Rolle von Deutschland im Kosovo?
Deutschland ist ein sehr wichtiger Partner für das Kosovo. Berlin hat einen ganz großen Beitrag für den Staatsaufbau des Kosovo geleistet. Nach den USA leistet Deutschland die größte finanzielle Hilfe. Außerdem ist Deutschland beteiligt an allen internationalen militärischen und zivilen Missionen im Kosovo, wie etwa der Friedenstruppe KFOR und der Rechtsstaatlichkeitsmission der EU, EULEX. Deutschland ist für uns die wichtigste europäische Adresse und der wichtigste Partner, der das Kosovo im EU-Integrationsprozess unterstützt. Die Rolle Deutschlands in Südosteuropa ist in den vergangenen Jahren enorm gewachsen und sehr wichtig geworden. Herr Steinmeier hat großes Interesse an der Lage im Kosovo und Südosteuropa gezeigt. Berlin unterstützt nach wie vor die Unabhängigkeit und territoriale Integrität unseres Landes und ist sehr interessiert an der vollen Umsetzung des Abkommens für die Normalisierung der Beziehungen zwischen Kosovo und Serbien. Wir brauchen Deutschland in allen wichtigen Prozessen: bei der wirtschaftlichen Entwicklung, bei der Wahrung der Stabilität sowie bei dem Prozess der EU-Integration.
Das Kosovo hat immer noch große Probleme mit den Beziehungen zu Serbien. Ist eine EU-Mitgliedschaft für beide Staaten denkbar ohne gegenseitige Anerkennung?
Ich glaube nicht. Für uns ist sehr wichtig, dass der Dialog zwischen Serbien und dem Kosovo fortgesetzt wird. Das Kosovo hat bewiesen, wie man durch den Dialog und durch die Abkommen die Probleme mit den Nachbarn lösen kann. Wir haben mit Serbien ein Abkommen im April 2013 unterschrieben. Aber für die volle Normalisierung der Beziehungen zwischen Serbien und dem Kosovo brauchen wir noch einige Schritte. Erstens, alle Abkommen müssen auch in die Tat umgesetzt werden. Zweitens, alle serbischen Parallelstrukturen im Kosovo müssen abgeschafft werden. Drittens, die serbische Minderheit im Kosovo muss sich vollständig integrieren. Viertens, Serbien soll die Mitgliedschaft des Kosovo in den Internationalen Institutionen und Organisationen einschließlich UNO nicht verhindern. Und fünftens, es muss zu einer gegenseitigen Anerkennung der Länder kommen, weil es ohne diese Anerkennung keine vollständige Normalisierung der Beziehungen zwischen dem Kosovo und Serbien geben kann. Ich plädiere dafür, dass diese Schritte in den nächsten vier bis fünf Jahren getroffen werden und das Kosovo und Serbien am gleichen Tag Mittglieder der EU werden.
In Serbien und im Kosovo wird es dieses Jahr Parlamentswahlen geben. Inwieweit werden diese Wahlen den Dialog zwischen Pristina und Belgrad beeinflussen, da es sowohl in Serbien als auch im Kosovo politische Parteien gibt, die gegen den Dialog sind?
Ich glaube, dass der Dialog fortgesetzt wird. Das ist auch die europäische Agenda. Der Dialog ist die einzige Form des Handelns für alle Länder die eine EU-Integration anstreben. Das ist eine Notwendigkeit aber auch eine Voraussetzung für beide Länder, weil Serbien und das Kosovo eine europäische Perspektive haben wollen. Deswegen glaube ich, dass die Wahlen in der Frage Dialog zwischen Pristina und Belgrad nicht viel ändern werden, egal wer die Wahlen am Ende gewinnt, und zwar sowohl in Serbien als auch im Kosovo.
Die Kosovo-Regierung hat entschieden, eine eigene Armee mit 5000 aktiven Soldaten sowie 3000 Reservisten zu gründen. Serbien ist jedoch dagegen und verlangt darüber eine außerordentliche Sitzung des UN-Sicherheitsrates. Haben Sie die Erlaubnis der internationalen Gemeinschaft für die Gründung einer solchen Armee?
Das Kosovo ist ein souveräner Staat und in den letzten sechs Jahren haben wir gezeigt, dass wir an den guten Nachbarschaftsbeziehungen mit allen Ländern der Region, auch mit Serbien, sehr interessiert sind. Ich glaube, dass die Entscheidung der Regierung in Belgrad, eine außerordentliche Sitzung des UNO-Sicherheitsrates zu verlangen, dem Wahlkampf in Serbien geschuldet ist. Das hat mit rationalem Handeln einer vernünftigen Regierung nichts zu tun. Das Kosovo hat in den letzten sechs Jahren gezeigt, dass wir uns für Frieden, Sicherheit und Stabilität einsetzen. Die Gründung unserer bewaffneten Streitkräfte geschieht im Einklang mit unserer Verfassung und mit unseren internationalen Partnern. Keiner braucht sich deswegen Sorgen zu machen.
Enver Hoxhaj ist ein kosovarischer Politiker und Historiker. Seit Februar 2011 ist er Außenminister der Republik Kosovo. Er ist Mitglied der regierenden Demokratischen Partei des Kosovo (PDK).
Das Interview führte Bahri Cani.