HSV-Debakel mit schwerwiegenden Folgen
28. Juni 202021 Minuten waren gespielt, da war die Hoffnung des Hamburger SV auf den Relegationsrang in der 2. Bundesliga schon so gut wie begraben. Sandhausens Kevin Behrens erzielte ohne große Mühe das 2:0. Zuvor hatte Rick van Drongelen, der sich im späteren Verlauf des Spiels zu allem Überfluss auch noch einen Kreuzbandriss zuzog, die Gäste mit einem Eigentor in Führung gebracht (13. Minute). Aber nicht nur der Spielstand war für den HSV äußerst schmerzhaft. Für die Art und Weise, wie die Hamburger sich nach dem Ballverlust im Mittelfeld ausspielen ließen, gab es nur ein Wort: dilettantisch.
Ein einziger Pass genügte, um den Hamburger Abwehrverbund vollständig auszuhebeln. Van Drongelen kam zu spät, Torwart Pollersbeck war machtlos - und spätestens jetzt war die HSV-Ohnmacht auch ohne Publikum spürbar.
"Kann doch nicht sein”
Es wirkte, als wollten alle im HSV-Dress nur noch, dass dieses Spiel, dass diese Saison zu Ende gehen. "Das kann doch nicht sein”, hallte es durch das leere Volksparkstadion. Die Aussage war für alle Anhänger des HSV zutreffend, der Absender allerdings unbekannt. Die Stimmung rund um den großen Klub von der Elbe schien allerdings auch schon vor dem Anpfiff nicht besonders gut zu sein. Nicht das mögliche Erreichen der Relegation, sondern vor allem die bis dahin so schwankend verlaufene Saison beschäftigte die meisten HSV-Anhänger - und wohl auch die meisten HSV-Spieler. Anders lässt sich solch ein desolater Auftritt nicht erklären.
Dabei hatte Zweitliga-Meister Arminia Bielefeld mit dem 3:0 gegen den direkten Relegations-Konkurrenten FC Heidenheim alles dafür getan, um dem HSV diese Gelegenheit doch noch beim Schopfe packen zu lassen - ein Remis hätte schon gereicht. Doch die Hanseaten griffen nicht zu.
Ausgerechnet Diekmeier
Der Mannschaft von Trainer Dieter Hecking war es in den vergangenen Wochen schon häufiger nicht gelungen, eine Führung über die Zeit zu bringen. Doch von solch einer luxuriösen Ausgangsposition konnte gegen Sandhausen nicht einmal ansatzweise die Rede sein. Der HSV leistete sich gegen den Tabellenelften aus Sandhausen einen sportlichen Offenbarungseid. Selbst das momentan leidgeplagte Werder Bremen, auf das der HSV in der Relegation getroffen wäre, hätte sich vor diesem Team von der Elbe kaum fürchten müssen.
Der Traditionsklub, der 2017 erstmals in der seiner langen Geschichte aus der Bundesliga abgestiegen war und der mit rund 25 Millionen Euro über einen der höchsten Etats in der 2. Liga verfügt, wurde in den sozialen Medien einmal mehr Gegenstand von Spott und Häme. Das lag nicht zuletzt am Spielverlauf. Nach dem frühen Rückstand konnte der HSV zwar durch Aaron Hunts Elfmeter auf 1:2 verkürzen. Im Anschluss zeigte sich die Mannschaft von Dieter Hecking binnen sechs Minuten aber gleich dreimal (!) völlig indisponiert. Behrens (84.) und Mario Engles (88.) trafen, ehe Dennis Diekmeier wenige Wochen nach seinem ersten Profi-Tor überhaupt und ausgerechnet gegen den Klub, für den der 30-Jährige zuvor achteinhalb Jahr spielte, seinen zweiten Treffer seiner langen Karriere erzielte (90.). Eine passendere Pointe und wohl auch größere Demütigung hätte es wohl nicht geben können. Ausgerechnet Diekmeier.
Mit oder ohne Hecking - wie sieht die Zukunft aus?
Und so dürften die Verantwortlichen beim HSV nun auch in die endgültige Analyse dieser Spielzeit gehen - in der auch über die Zukunft Heckings entschieden wird. "Ich bin der Letzte, der sagt, ich habe keine Fehler gemacht“, stellte der Coach klar. "Das gilt auch für die letzten Wochen, als wir immer wieder späte Gegentore bekommen haben. Man kann es einmal entschuldigen, aber wir haben es nicht hinbekommen, es danach besser zu machen. Das liegt in meiner Verantwortung und da werde ich auch die Verantwortung übernehmen.“ Über seine Zukunft sagte Hecking nichts. Bei Erreichen der Bundesliga hätte sich sein Vertrag automatisch verlängert, nun ist der Kontrakt formal beendet.
Klub-Präsident Marcell Jansen wich einer konkreten Antwort in Bezug auf den Trainer aus. "Jonas Boldt und Dieter Hecking haben schon gesagt, dass sie nach der Saison in die Analyse gehen. Das Vertrauen von Jonas Boldt ist da und er wird mit Dieter Hecking Hecking eine Lösung finden”, so Jansen bei Sky.
Sportvorstand Jonas Boldt, der bereits nach dem frühen 0:2 sein Gesicht in den Händen vergraben hatte und sich gar keine Mühe mehr gab, seine Verzweiflung irgendwie zu verbergen, äußerte sich nach dem Debakel nicht. Zumindest vor dem Spiel hatte Boldt bekräftigt, dass eine Zukunft mit Hecking auch im Falle eines Verbleibs in der 2. Liga nicht ausgeschlossen sei. "Natürlich kann auch ich mir vorstellen, dass wir die Zusammenarbeit Liga-unabhängig fortführen. Wir vertrauen uns und sind dabei, gemeinsam etwas aufzubauen, es funktioniert sportlich und menschlich sehr gut”, hatte Boldt dem Kicker gesagt. Ob der Sportchef das nach diesem Debakel immer noch so sieht, ist zumindest fraglich.