Lichtgestalt oder Populist?
9. Januar 2013Hugo Chavez in Venezuela, Luiz Inácio Lula da Silva in Brasilien, Cristina Kirchner in Argentinien … Die Reihe von Politikern, die in den vergangenen 15 Jahren in Lateinamerika mit linker Politik Wahlen gewonnen haben, ließe sich noch weiter fortsetzen.
Der erste aber war 1998 Hugo Chávez. Trotzdem warnt der kubanische Exilpolitiker Antonio Guedes davor, die unterschiedlichen linken Politikmodelle in einen Topf zu werfen: "Brasilien und Peru werden zum Beispiel von sozialdemokratischen Parteien regiert, die den demokratischen Regeln ihrer Länder folgen, in denen eine saubere Gewaltenteilung herrscht", so Guedes. Genau das sei in Venezuela nicht der Fall. "Chávez hat nach und nach die Kontrolle über Exekutive, Legislative und Judikative übernommen", sagt der Vorsitzende der Liberalen Kubanischen Union. Er sei deshalb in erster Linie eine Bedrohung für die Demokratie.
Chávez‘ umstrittene Position auf dem Kontinent entzündet sich gleichermaßen an seiner Politik und seiner Person. Chávez repräsentierte die soziale Spaltung der lateinamerikanischen Gesellschaft, meint der deutsche Journalist und Chávez-Biograf Christoph Twickel. Chávez wird von der ärmeren Bevölkerung als Hoffnungsträger, von der reichen Oberschicht dagegen als Bedrohung gesehen. Gleichzeitig räumt Twickel ein, dass Chávez aufgrund seiner "recht bunten Art und Weise, Politik zu machen, sicher einer der kontroversesten Politiker des Kontinents ist“.
Populismus und Polarisierung
Der Chávez-Biograf hält den ehemaligen Oberstleutnant für die zentrale Figur des lateinamerikanischen Linksrucks. Der kolumbianische Sozialhistoriker Andrés Otálvaro geht noch einen Schritt weiter: "Chávez hat die politische und ideologische Debatte in Lateinamerika wiederbelebt." So sei der Sozialismus wieder zu einer Alternative für das lange vorherrschende neoliberale Modell geworden.
Auch Chavez-Kritiker Antonio Guedes bestreitet den großen Einfluss des charismatischen Politikers nicht. Für ihn liegt der Schwerpunkt jedoch jenseits der Politik. "Den weitaus größten Einfluss übt Chávez mit dem Geld aus, das ihm durch den Ölreichtum Venezuelas zur Verfügung steht. Darüber hinaus baut er seinen politischen Einfluss auf kleinere Länder wie Nicaragua, Ecuador, Bolivien und sogar auf Argentinien aus." Die ideologische Vorreiterrolle in Sachen Sozialismus liege hingegen eindeutig bei den Castro-Brüdern in Kuba, meint Guedes.
Norden gegen Süden
Während Chávez innenpolitisch vor allem sozialistische Reformen durchsetze profilierte er sich außenpolitisch als Gegner der USA. Die Unabhängigkeit Lateinamerikas vom mächtigen Nachbarn im Norden ist sein zentrales Anliegen. Regional macht er sich deshalb zum Beispiel für die Gemeinschaft der Lateinamerikanischen und Karibischen Staaten (CELAC) stark, die den gesamten Doppelkontinent außer den USA und Kanada einschließt. Außerdem verbündet er sich mit so umstrittenen Staatsmännern wie dem iranischen Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad und dem weißrussischen Staatschef Alexander Lukaschenko.
Für den kolumbianischen Sozialhistoriker Andrés Otálvaro sind dies reine Zweckbündnisse: "Die Allianzen mit solch problematischen Anführern ist Chávez vor allem eingegangen, um sich gegen die Hegemonialmacht USA zu stellen", meint Otálvaro. Der deutsche Chávez-Biograf Twickel sieht ebenfalls keine bewusste Annäherung an diktatorische Regime. Er erkennt darin vor allem den Wunsch nach "wirtschaftlicher Kooperation unter solidarischen Vorzeichen" und eine gewisse Unterstützung für kleinere Staaten wie Nicaragua und Cuba. Twickel erinnert daran, dass Venezuela auch von kubanischen Ärzten und Lehrern profitiert habe, mit deren Hilfe man vor allem in ländlichen Gebieten das Gesundheits- und Bildungssystem ausgebaut habe.
Als große Errungenschaft sieht der Journalist Twickel auch Chávez' Initiative in der lateinamerikanischen Medienlandschaft: "Mit dem Aufbau des transnationalen Netzwerks Telesur hat er ein politisches Gegengewicht zu US-amerikanischen und privaten Medienmogulen geschaffen, die den ganzen Kontinent zuvor komplett beherrschten." In einem sind sich die Experten einig: Die linke Politik wird Lateinamerika auch ohne Chavez erhalten bleiben.