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Humanitäre Lösung

Rainer Sollich5. September 2002

China und Deutschland haben sich über das Schicksal von 15 nordkoreanischen Flüchtlingen geeinigt. Rainer Sollich kommentiert das Flüchtlingsdrama.

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Zwei Tage herrschte große Aufregung, jetzt das - nicht unerwartete - Ergebnis: Die 15 Nordkoreaner, die auf das Gelände der deutschen Botschaftsschule in Peking geflohen sind, dürfen aller Wahrscheinlichkeit nach über ein Drittland nach Südkorea ausreisen.

Die Einigung ist nicht zuletzt ein Erfolg der deutschen Diplomaten vor Ort, die ebenso engagiert wie behutsam vorgegangen sind. Ihnen ist mit zu verdanken, dass die 15 Nordkoreaner nicht in ihre Heimat zurückgeschickt werden - wo ihnen neben Hunger auch Gefängnis, Folter oder möglicherweise sogar die Todesstrafe drohen. Die deutschen Diplomaten haben beim Anrücken der chinesischen Polizei einfach die Tür zugesperrt und darauf spekuliert, dass Peking es - einen Monat vor den Feierlichkeiten zum 30-jährigen Bestehen der diplomatischen Beziehungen - nicht auf einen Affront ankommen lassen wird. Angesichts des strittigen völkerrechtlichen Status der Schule ein mutiges Vorgehen. Zugleich wurde hinter den Kulissen zugunsten einer humanitären Lösung verhandelt. Diese Taktik ist zum Glück aufgegangen.

Peking achtet auf das eigene Ansehen

Sie ist allerdings auch deshalb aufgegangen, weil die chinesische Regierung selbst - auch angesichts des bevorstehenden Parteitags im November - kein Interesse an diplomatischen Scherereien hat. Peking setzt in solchen Fällen schon seit längerem auf Vernunft und pragmatische Lösungen - das hat sich in den vergangenen Monaten immer wieder gezeigt. Allein in diesem Jahr suchten in China mehr als 80 Nordkoreaner Zuflucht in ausländischen Vertretungen. Trotz einigem Hin und Her hat Chinas Regierung im Endeffekt stets humanitären Lösungen zugestimmt. Das zeigt, dass Pekings Politikern das eigene internationale Ansehen in diesem Zusammenhang wichtiger ist als die traditionelle Freundschaft zum stalinistischen Unrechts-Regime in Nordkorea. Für dessen Politik will Peking nicht auch noch öffentlich haftbar gemacht werden - man steht ja selbst schon oft genug am internationalen Menschenrechts-Pranger.

Füchtlinge im Grenzgebiet

Die spektakulären Botschaftsbesetzungen der letzten Monate versperren allerdings den Blick auf ein viel größeres Problem: Im chinesischen Grenzgebiet zu Nordkorea halten sich nach Schätzungen bis zu 300.000 Flüchtlinge auf. Menschenrechtsorganisationen zufolge hat sich die Lage dieser Nordkoreaner seit Beginn der spektakulären Aktionen enorm verschärft. Sie werden systematisch gesucht, aufgegriffen und zurückgeschickt. Dies zeigt: Jenseits der
internationalen Medienöffentlichkeit greift die chinesische Regierung nach wie vor unverhältnismäßig hart durch.

Die westlichen Helfer der Botschaftsflüchtlinge sollten diesen
Effekt nicht unterschätzen. Jede ihrer Aktionen schärft natürlich den Blick der internationalen Gemeinschaft auf die schlimmen Zustände in Nordkorea. Und wer weiß, vielleicht gelingt es ihnen irgendwann ja tatsächlich, eine Massenflucht in Gang zu setzen, die ähnlich wie einst in Osteuropa das kommunistische Regime hinwegspült. Aber bisher nutzen die Botschaftsbesetzungen nur wenigen - für die meisten nordkoreanischen Flüchtlinge verschärft sich die Situation.