EU wird unbürokratischer
1. Juli 2009Eine seit 21 Jahren geltende Verordnung ist aufgehoben worden. Ein Sieg für die schlangenförmige Salatgurke. Eine Niederlage für die angeblich ach so überbordende EU-Bürokratie. Oder doch nicht?
Diese Handelsklassenverordnung war auf Anregung von Bauern und Händler erlassen worden. Die Lobbygruppen wollten die Gurkenkrümmung und Kirschenform geregelt wissen. Im Laufe der Jahre wurde die gerade Gurke aber zum Symbol für die angebliche Regulierungswut der Brüsseler Bürokraten in der EU-Kommission. Jetzt gibt es wieder Freiheit für buckelige Gurken und schiefe Möhren, auch wenn die Händler die Verordnung lieber behalten hätten. Die zuständige EU-Kommissarin für die Landwirtschaft, Mariann Fischer-Boel, und die deutsche Landwirtschaftsministerin, Ilse Aigner, feiern sich als Kämpferinnen wider die Bürokratie. Nun, ja. Es gibt vielleicht wichtigere Probleme in der Europäischen Union als den Krümmungsgrad von Frischgemüse.
Tomaten bleiben unfrei
Die Handelsklassenverordnung bleibt für die umsatzstärksten Obst- und Gemüsesorten wie Äpfel oder Kopfsalat und Tomaten übrigens in Kraft. Die werden auch weiterhin nach wohlgeformter Gestalt sortiert. Warum, ist schwer zu sagen.
Die Politikerin Ilse Aigner, die Jeanne d'Arc der deutschen Landfrauen, sieht jedenfalls "einen Schritt zur Entbürokratisierung und Vereinfachung."
Weniger ist mehr
Als Revolution war auch der Wegfall der Vorschrift für einheitliche Verpackungsgrößen für Lebensmittel vor einiger Zeit gedacht. Prompt kam aber von Schutzverbänden für den mündigen Verbraucher die Kritik, dass Kaffee jetzt auch in 450g oder 600g-Packungen angeboten werden kann. Milchtüten dürfen ebenso unbürokratisch in Größe und Form variieren. Das würde jedoch verwirren, eine europaweit einheitliche Regelung müsse her. Ja, was denn nun? Wie ehedem bei den Gurken?
Gurken und Telefone
Und mit welcher Logik werden die Preise für Mobil-Telefongespräche in Europa reguliert? Kann da nicht auch der mündige Verbraucher entscheiden, welchen Anbieter er wählt im freien Binnenmarkt? Genauso wie er jetzt seine Gurke selbstbestimmt auswählt? Anscheinend nicht, denn diese Regulierung feiert die zuständige Kommissarin Viviane Reding als große Errungenschaft. Was haben Gurken und Handy-Tarife gemeinsam? Beide Produktgruppen sind per se unübersichtlich. Nur die Gurke wird dereguliert. Das Handy bleibt der Regulierungswut der Brüsseler Beamten ausgeliefert. Ist das fair?
Meine Empfehlung für Deregulierer und Entbürokratisierer: Die Richtlinie für die einheitliche rückwärtige Beleuchtung von landwirtschaftlichen Maschinen von Finnland bis Zypern. Die gibt es nämlich auch.
Autor: Bernd Riegert
Redaktion: Nicole Scherschun