Verlorene Tochter
6. März 2009Josepha Mukamanas Zwillinge streiten sich um einen Keks. Die dreijährigen Jungen sind müde. Sie hocken auf dem Schoß ihrer Mutter. Und auch Josepha Mukamana ist erschöpft. Es ist heiß in ihrem Zelt. Es steht neben Containern der UN im Ostkongo. Die Zeltsiedlung ist ein Transitlager für Rebellen, die sich ergeben haben. Man sieht es ihr nicht sofort an: Mukamana hat freiwillig ihre Uniform abgelegt und ihr Gewehr abgegeben, doch noch am Tag zuvor war sie Hutu-Kämpferin und Medizinerin bei der FDLR - Kongos brutalster Rebellengruppe. "Das Leben im Kongo ist schwer und sehr gefährlich. Ich bin vor all dem geflohen, mit meinen wenigen Sachen, meinem Geld. Ich will meine Tochter wiedersehen, meinen Ehemann und meine Eltern.“
15 Jahre hat die 38-jährige Frau im kongolesischen Dschungel verbracht. Sie war nach dem Genozid 1994 an den Tutsi in Ruanda geflüchtet. Damals arbeitete sie als Militärärztin in der Armee. Als die Tutsi-Befreiungsarmee von Uganda aus einmarschiert war, um das Massenschlachten zu stoppen, ergriffen die Regierungstruppen aus Angst vor Rache die Flucht. In den Flüchtlingslagern im Kongo gründeten die Militärs, zumeist Hutus, eine Miliz, die später unter dem Namen FDLR bekannt wurde.
Vom Kongo aus führt die FDLR bis heute Krieg gegen die Tutsi-Regierung in Ruanda. Josepha Mukamana hat diesen Krieg 15 Jahre lang miterlebt. Als Ärztin war sie an vorderster Front mit dabei. Sie fühlte sich verpflichtet, erklärt sie. "Ich war doch im Dienst, wie alle anderen auch. Ich diente in der medizinischen Einheit. Natürlich hatte ich auch eine Waffe, wie die anderen auch. Ich habe zwar nicht gekämpft, aber wenn jemand verletzt war, haben sie ihn zu mir gebracht."
Zurück ins Feindesland
Doch in all den Jahren hat sich Mukamana nach ihrer Familie gesehnt. Vor allem nach ihrer Mutter, mit der sie ab und zu telefonieren durfte. Mukamana hat einen Wunsch: Sie will endlich so leben wie die anderen.
Es ist heiß in dem Lastwagen, der Mukamana und ihre Kinder über die Grenze nach Ruanda fährt. Sie sieht angespannt aus. Sie weiß nicht, was sie erwartet. Wird sie von ihrer Familie aufgenommen? Jenseits des Schlagbaums kramt sie einen Zettel mit Telefonnummern hervor. Sie fragt den Zollbeamten nach einem Telefon. Als sie auflegt, hat sie Tränen in den Augen. Aber sie strahlt über das ganze Gesicht. Sie hat tatsächlich ihre Schwester erreicht. "Ich soll direkt nach Hause kommen", jubelt Mukamana.
Die Frau, die zuvor so ernst dreinschaute, ist plötzlich wie ausgewechselt. Sie lächelt. Sie will nur noch eins: so schnell wie möglich mit dem Bus nach Hause fahren - in ihr Dorf, einige Kilometer von der Hauptstadt Kigali entfernt.
Wiedersehen nach 15 Jahren
Auf der Fahrt drückt sie sich zusammen mit ihren Zwillingen die Nase an der Fensterscheibe platt. Sie zeigt auf die Läden, in denen so viele Produkte angeboten werden. "Das ist mein Heimatland. Ich bin so glücklich!", sagt sie.
Dann hält der Bus an einer Straßenkreuzung, hoch oben auf einem Hügel. Mukamana hastet den Weg zu einer Lehmhütte hinunter. Ihr Bündel mit all ihren Habseligkeiten liegt noch immer am Straßenrand. Die Zwillinge stehen verloren daneben. Doch Mukamana bekommt all dies nicht mit. Sie nimmt ihre Mutter in den Arm. Die beiden Frauen weinen vor Freude.
Nachbarn kommen angelaufen, auch Mukamanas Tanten und ihre beiden Schwestern. Ihre Nichten und Neffen. Alle sind fassungslos, aber glücklich. Dann spricht ihr Neffe ein Gebet, um Gott zu danken, dass die verlorene Tochter zurückgekehrt ist.
Mukamana sieht glücklich aus. Heute wird endlich ihr Traum in Erfüllung gehen. Der Traum von einem ganz normalen Leben - ohne Krieg, ohne Gewalt. Sie will in Ruanda wieder als Ärztin arbeiten und ihre Kinder zur Schule schicken. Bei der Frage, ob sie sich vorstellen kann, auch mit Tutsis zusammen zu leben, lächelt sie. Hier in Ruanda seien sie doch alle Ruander, sagt sie.