Händels "Te Deum" zum Frieden von Utrecht
10. Juli 2013Als im Jahre 1700 der letzte spanische Habsburger, König Karl II., kinderlos starb, erhoben sowohl die Habsburger in Österreich als auch die Bourbonen in Frankreich Anspruch auf den vakanten Thron. Was mit einem Streit der Königshäuser um die Erbfolge begann, entwickelte sich zu einem europaweiten Krieg. Dabei wurde nicht nur um die Vormachtstellung in Europa gefochten, sondern auch um die Kolonien in der Neuen Welt. 13 Jahre lang dauerte der blutige Konflikt, mehr als eine Million Menschen verloren in diesem "Weltkrieg im Barock" ihr Leben.
Europa am runden Tisch: "balance of power"
Dann gelang, was niemand für möglich gehalten hatte: Auf neutralem Boden, im niederländischen Utrecht, versammelten sich im Januar 1712 Diplomaten aus Frankreich, Spanien, Portugal, Großbritannien, Österreich, Preußen und den Niederlanden, um einen Friedensvertrag zu schließen. Es sollte keine Verlierer geben und keine Sieger, der Friede sollte verhandelt und nicht diktiert werden. Oberstes Ziel war ein Gleichgewicht der Kräfte in Europa, eine "balance of power".
15 Monate zogen sich die mühsamen Verhandlungen hin. Der Wunsch blieb fromm und wurde dann im Vertrag festgeschrieben: "Im Namen des allmächtigen Gottes ewiger Friede – alle Feindseligkeiten sollen begraben, alle Beleidigungen auf ewig vergessen werden."
Knallende Korken auf diplomatischem Parkett
Am 11. April 1713 unterzeichneten die Gesandten endlich den Friedenvertrag von Utrecht und besiegelten das Ende des Spanischen Erbfolgekrieges. Trompeten schmetterten Fanfaren. Die Champagnerkorken knallten. Die Diplomatie hatte gewonnen - zum ersten Mal in der Weltgeschichte war es gelungen, einen Krieg nicht auf dem Schlachtfeld sondern am Verhandlungstisch zu beenden. Das politische Prinzip der "balance of power" wurde Vorbild für internationale Friedensverhandlungen, vom Wiener Kongress über die Haager Konvention bis hin zum Friedensabkommen von Camp David. Viele Historiker sehen in den Verhandlungen am runden Tisch sogar eine Keimzelle der Vereinten Nationen.
Freudenfeuer und Friedensmusik
Der Friedensschluss wurde in ganz Europa gebührend gefeiert. Feuerwerke wurden gezündet, feierliche Dankgottesdienste abgehalten, bei denen Vertonungen des altkirchlichen Dankhymnus' "Te Deum Laudamus" erklangen. "Dich, Gott, loben wir".
Auch im London der musikliebenden Queen Anne durfte bei der Friedensfeier ein solches "Te Deum" nicht fehlen. Das scheint auch Georg Friedrich Händel geahnt zu haben, als er im Herbst 1712 in London eintraf. Der gebürtige Sachse wollte sich nach Studienjahren in Italien nun als Komponist in England etablieren. In einem Werk für offiziellen Anlass sah er seine Chance, das englische Königshaus auf sich aufmerksam zu machen. Schon drei Monate vor dem Friedensschluss vollendete er das "Utrechter Te Deum" - sein erstes größeres geistliches Werk in englischer Sprache.
Musikalischer Diplomat
Eines aber hatte Händel nicht bedacht: Bei offiziellen Anlässen durfte die Königliche Hofkapelle ausschließlich Musik englischer Komponisten spielen. Die Aufführung von Werken ausländischer Komponisten bedurfte der Zustimmung des Parlaments. Doch Händel nahm die Hürde mit diplomatischem Gespür. Er machte der Queen ein musikalisches Geburtstagsgeschenk. Seine "Birthday Ode for Queen Anne" begeisterte das Geburtstagskind, die den Ausländer Händel beherzt mit der musikalischen Ausrichtung ihrer Staatsfeier zum Utrechter Frieden beauftragte. Es muss Händel gefreut haben. Er ergänzte sein 30-minütiges "Te Deum" mit der Vertonung des 100. Psalms - "Oh, be joyful".
Feuerwerk barocker Klangpracht
Beide Werke erklangen zur Friedensfeier am 13. Juli 1713 - in einem feierlichen Gottesdienst in der Londoner St. Paul's Kathedrale. Zeitzeugen berichteten, wie ganz London vor Freude taumelte: "Das Parlament begab sich in Prozession zur Paulskirche. Menschenmassen säumten die Straßen entlang der Parade-Route. 4000 Kinder sangen feierliche Hymnen. Und auf der Themse brannten prächtige Feuerwerke."
Auch das "Te Deum" selbst geriet zu einem wahren Feuerwerk barocker Klangpracht: Mehr als 100 Sänger und die Musiker der königlichen Kapelle mit festlichen Bläsern wirkten an der Aufführung unter Händels Leitung mit. Die Zeitungen schwärmten, er treffe den Nerv der Besucher mit den packenden Melodien seiner Chorsätze: "Händel schlug dabei Weisen an, die jeder fühlt und versteht; denn er singt einen Lobgesang, der aus aller Herzen emporsteigt und aller Herzen bewegt."