"Wir raten zur Vorsicht"
8. Juni 2017"Wir stocken unser Personal für die Nacht auf, um auf erhöhte Kursausschläge zu reagieren", sagte Analyst Neil Wilson vom Londoner Brokerhaus ETX Capital am Tag der Wahl zum britischen Parlament. Der unklare Ausgang der Wahl veranlasst Banken und Brokerhäuser zu Vorsichtsmaßnahmen. Auch bei der Barclays Bank schieben Devisenhändler Sonderschichten.
Als Premierministerin Theresa May völlig überraschend vorgezogene die Wahlen für den heutigen Donnerstag ansetzte, schien ihr und den regierenden Konservativen ein Kantersieg sicher. Das war im April. Nun müssen die Konservativen den Demoskopen zufolge sogar um ihre absolute Mehrheit zittern. Zudem könnten die Anschläge in London, bei denen am Samstagabend sieben Menschen getötet wurden, den Wahlausgang beeinflussen. "Die Anschläge von Manchester und London dürften den Zustimmungswerten der Premierministerin nicht geholfen haben", sagt Analystin Sandra Striffler von der DZ Bank.
"Hohe Unsicherheit"
Innenpolitische Probleme würden immer mehr zum Thema. "Da der Ausgang der Wahl, insbesondere nach dem jüngsten Anschlag, mit hoher Unsicherheit behaftet ist, raten wir Pfund-Investoren zur Vorsicht", betonen die Analysten der Bayern LB.
Dennoch hatte das Pfund Sterling schon am Dienstag Boden gut gemacht. Anleger rechnen offenbar noch mit einem Sieg der Konservativen von Premierministerin May und kauften Pfund Sterling. Die britische Währung notierte am frühen Donnerstag im fernöstlichen Handel nahe des am Mittwoch erreichten Zwei-Wochen-Hochs von 1,2970 Dollar. Stimmenverluste für May könnten das Pfund Experten zufolge aber in neue Turbulenzen stürzen.
Der deutsche Aktienmarkt startete am Donnerstag wenig verändert in den britischen Wahltag. Wie auch der europäische Aktienindex Euro-Stoxx verzeichnete der deutsche Aktienindex ein leichtes Plus. Bestimmt wird der Tag auch noch von der EZB-Ratssitzung in Tallinn und der Anhörung des geschassten FBI-Chefs James Comey in Washington. Schon am Vortag hatte sich der Dax kaum mehr bewegt und mit einem Minus von 0,1 Prozent bei 12.672 Punkten geschlossen.
"Soziale Kluft"
Beobachter in Deutschland wiesen auf den breiteren Hintergrund der Wahlen zum Londoner Parlament hin. So schrieb der Herausgeber der Wirtschaftszeitung "Handelsblatt": Offiziell drehe sich zwar alles um die Terroranschläge im Land. "In Wahrheit aber geht es, wie schon beim Brexit-Votum, um die unfassbare soziale Kluft zwischen der High Society in London und den Abgehängten draußen auf dem Land", schreibt Herausgeber Gabor Steingart. "Rund ein Viertel des Bruttosozialprodukts wird mittlerweile in London erwirtschaftet." Damit flössen pro Kopf in die dortige Infrastruktur etwa sieben Mal höhere Investitionen als in die Midlands.
In London sagte Investment Analyst Joe Manimbo von Western Union Business Solutions: "Die Wahlen vom Donnerstag laufen letztlich auf die Frage hinaus: politische Sicherheit oder politische Unsicherheit für Großbritannien." Und bei wachsender Unsicherheit würde das Pfund wieder unter Beschuss geraten.
ar (dpa, rtr, afp, Handelsblatt)