"Ich habe keine Angst"
27. Februar 2015Zum Abschied, damals vor drei Jahren, erzählt Maximilian Feldhake, hätten ihm viele in der Synagoge viel Erfolg und alles Gute gewünscht - und dann oft noch hinzugefügt: "Wir haben Angst, bitte pass‘ auf, dass dir da drüben nichts Schlimmes passiert!" Andere, sagt er und zuckt die Schultern, fragten, warum er denn überhaupt dahin wolle, zum "Kontinent der Trauer und des Todes" - und warum ausgerechnet auch noch nach Deutschland?
Feldhake grinst: So richtig kann er, der höfliche, eloquente Amerikaner aus Phoenix, der immerzu mit den Händen gestikuliert, gar nicht erklären, warum er schon als Jugendlicher immer unbedingt nach Deutschland ziehen wollte. Vielleicht waren es die deutschen Wurzeln - seine Urgroßeltern stammten aus Osnabrück -, vielleicht aber auch die Klischees, "Bayern, Bier und Weißwurst", über die er jetzt, nach drei Jahren in Deutschland, nur lachen kann. Nein, so genau wisse er das nicht. Nur so viel: "Ich wollte schon immer nach Deutschland auswandern."
Er lächelt: Jetzt ist der 26-Jährige also hier in der etwas stickigen, kleine Bücherei, die Regale voller hebräischer Schriften und deutscher Thora-Abhandlungen des Abraham-Geiger-Kollegs in einem unscheinbaren Hochhaus zwischen teuren Einrichtungsläden und schicken Bars in Berlin-Charlottenburg, an dem er seit zwei Jahren eine Ausbildung als liberaler Rabbiner macht. Davor hat er ein Jahr in Dresden gelebt und als Au-Pair gearbeitet - und sich sofort in die Stadt, Sachsen "und überhaupt Deutschland verliebt."
"Die Leute sehen, dass ich Jude bin - und nichts passiert!"
Natürlich könne er die Vorurteile seiner jüdischen Freunde in Phoenix nachvollziehen. "Es ist ja nicht so, dass ich nicht verstehe, worum es geht." In sein fast perfektes Deutsch mischt sich nur der Hauch eines weichen amerikanischen Akzents. Aber, sagt er und klopft mit einem grellrosa Marker, der auf dem Tisch liegt, auf den Holztisch, "das war das Jahr 2012, Herrgott nochmal!"
Die Vorurteile, die Angst vor Neo-Nazis und Rechten, stören ihn, er findet sie "albern und blöd". Sie stören ihn so sehr, dass er noch ein paar Mal fest mit dem Marker auf den Tisch klopft: Deutschland - und vor allem nicht "sein Dresden", so nennt er es - bestehe eben nicht nur aus Rechtsextremisten. Er deutet auf die gehäkelte, lila-beige-farbene Kippa auf seinem Kopf, farblich abgestimmt auf sein Hemd und seinen grauen Pullunder: Die, sagt er, trage er ständig und überall. "Die Leute sehen also, dass ich Jude bin - und nichts passiert." Entweder er werde von den Leuten mit einem freundlichen "Schalom" begrüßt oder gar nichts passiere. Von dem Aufruf des Zentralrates der Juden, lieber keine Kippa in gewissen Vierteln zu tragen, hält er wenig.
Nur einmal in den drei Jahren, in denen er schon in Deutschland lebt, im vergangenen Sommer während des Gaza-Krieges, hätten ihm zwei Jugendliche, "vielleicht mit türkischem, vielleicht mit arabischem Hintergrund", er zuckt die Schultern, Beschimpfungen hinterhergerufen: "Fuck Israel, du Sau-Jude, komm her", er schüttelt den Kopf. Natürlich hätte er Angst gehabt: Aber, das sagt er, das sei wohl eher die instinktive Angst eines jeden Amerikaners, "der sofort annimmt, die Leute könnten bewaffnet sein. Nur dass sie das in Deutschland natürlich nicht sind!" Überhaupt, sagt er, fühle er sich in Deutschland sicherer als in Amerika, "da kannst du jeden Tag auf der Straße erschossen werden. Und überhaupt: Das war ja nur ein Vorfall!"
"Die Übertreibungen helfen nicht"
Und Pegida, das Bündnis der "Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes", das in Dresden im Oktober vergangenen Jahres seinen Anfang fand und eine Anlaufstelle für einen diffusen Mix aus Ängsten, Ressentiment, Ablehnung und auch Ausländerhass bildet? Seine Sicht auf sein Dresden, sagt Feldhake, habe sich nicht geändert: "Andere sehen das ganz anders, klar. Aber man kann auch sagen, statistisch gesehen, bleiben 470.000 Einwohner der Stadt zu Hause und laufen nicht mit." Alle zwei Wochen ist er in Dresden, um seine Gastfamilie zu besuchen – dann laufe er oft bei der Gegendemonstration mit, "also wenn ich zufälligerweise sowieso gerade in Dresden bin."
Was ist mit den Aufrufen des israelischen Regierungschefs Benjamin Netanjahu, dass europäische Juden angesichts zunehmender antisemitischer Vorfälle und Angriffe nach Israel auswandern sollten? Feldhake schüttelt den Kopf: Er sei zwar nicht immer ein Anhänger der Bundeskanzlerin, aber ihr Satz, dass jüdisches Leben zu Deutschland gehöre, den könne er nur unterstreichen. Er grinst: "Merkel ist meine Regierungschefin und nicht Netanjahu, darum finde ich das besser. Gut, Netanjahu, wir sollen alle auswandern, dankeschön, aber lieber nicht!" Dann wird er wieder ernst: Natürlich gebe es Antisemitismus in Deutschland und Europa – und er möchte sich nicht anmaßen, über andere europäische Länder zu sprechen. Es sei wichtig, ja nötig, den Antisemitismus zu thematisieren, "aber die ganzen Übertreibungen, die helfen nicht, wirklich nicht!"
Er zuckt die Schultern: Sobald er kann, möchte er sich einbürgern lassen, Deutscher werden. "Denn ich glaube, wenn man die Gesellschaft mitgestalten möchte, dann sollte man auch die Staatsbürgerschaft annehmen."Und so nennt er sich den "angehenden Deutschen", der später, wenn er in drei Jahren fertig mit der Ausbildung ist, am liebsten in Ostdeutschland, seinem Ostdeutschland, als Rabbiner arbeiten möchte - falls er eine Stelle findet. Viele Rabbiner, sagt er, arbeiten gleichzeitig als Wissenschaflter, da es einfach nicht genug Stellen für sie in Deutschland gebe: "Die Gemeinde ist ja klein, und immer weniger bekommen Kinder." Er zuckt die Schultern: In drei Jahren könne noch viel passieren, "ich bin zu jung, um mir da jetzt den Kopf drüber zu zerbrechen." Nur, in Deutschland bleiben, das wolle er auf jeden Fall - "notfalls arbeite ich halt bei H&M." Er grinst.
Dann zieht er sich seine Jacke an und greift nach seiner braunen Umhängetasche - und der großen Pappverpackung mit dem halbaufgegessenen Dresdner Christstollen, den er mit zu seinem Seminar gebracht hatte. Feldhake lächelt: "Der Stollen, das ist das beste, was es in Dresden gibt." Seine Gastoma, sagt er, habe ihm den Stollen geschenkt. Dann verabschiedet er sich höflich, packt den Stollen unter den Arm und zieht los.