Idlib - Akteure und Interessen
14. Februar 2020Die Türkei: Engagement jenseits der Landesgrenzen
Die Türkei verfolgt in Syrien mehrere Ziele. In erster Linie will sie verhindern, dass weitere syrische Flüchtlinge auf ihr Territorium kommen. Bereits jetzt halten sich dort 3,6 Millionen Syrer auf. Die Regierung in Ankara fürchtet, dass der Druck durch die rund vier Millionen Bewohner der Region Idlib - auch der mediale Druck - auf die Türkei so groß werden könnte, dass sie schließlich zumindest einen Teil der Flüchtlinge in ihr Land lassen müsste.
Zugleich versucht die türkische Regierung auch die kurdisch bewohnten Gebiete im Norden Syriens unter ihre Kontrolle zu bekommen. Sie ist in Sorge, dort könnte eine autonome kurdische Provinz entstehen, deren Strahlkraft bis in die Türkei reichen und die dort lebenden Kurden zu einem verstärkten Autonomie-Kurs inspirieren könnte.
Russland: an der Seite Assads
Ende September 2015 kam die russische Regierung der Bitte der syrischen Regierung um Beistand gegen die bewaffnete Opposition nach. Seitdem steht Russland fest an der Seite der Assad-Regierung und unterstützt sie politisch und militärisch. "Ich darf erinnern, dass wir immer sagten, wir würden gegen den 'Islamischen Staat' und andere Gruppierungen kämpfen", hatte der russische Außenminister Sergej Lawrow den Militär-Einsatz seines Landes damals begründet. Mit diesem Argument unterstützt Russland die syrische Armee nun auch in der Region Idlib.
Da sich die russische Regierung jenseits des Begriffs vom "Kampf gegen den Terror" über ihre Ziele kaum äußert, wird über diese seit Jahren spekuliert. Als plausibelstes Argument gilt, Russland wolle seine nach dem Zusammenbruch der damaligen UDSSR Anfang der 1990er Jahre weitgehend verlorene Präsenz im Nahen Osten neu beleben.
In Syrien geht Russland in aller Rigorosität vor: Zusammen mit der syrischen Armee fliegt das russische Militär Angriffe auf die Region. Diese beschränken sich nicht auf Stellungen der Rebellen, sondern nehmen auch zivile Gebiete - einschließlich der Krankenhäuser und Hospitäler - unter Beschuss.
Die syrische Regierung: Machterhalt um jeden Preis
Für die Regierung Assad heiligt der Zweck offenbar sämtliche Mittel: Sie will den 2011 ausgebrochenen Aufstand niederringen, und zwar um jeden Preis. Menschenrechtsorganisationen werfen ihr vor, für den weitaus größten Teil der über eine halben Millionen in dem Konflikt gestorbenen Syrer verantwortlich zu sein.
Nachdem die Regierung 2015 gegenüber den damals vergleichsweise gut ausgerüsteten Rebellen militärisch beinahe unterlegen war, konnte sie sich mit russischer Unterstützung wieder aufrichten. Seitdem erobert sie die an die Aufständischen verlorenen Gebiete Zug um Zug zurück. Die letzte verbliebene Rebellenregion ist Idlib. Der gewaltige Flüchtlingszug deutet an, wie bedenkenlos die Regierung gegen ihre eigenen Bürger vorgeht, ohne jede Bereitschaft, zwischen unbeteiligten Zivilisten und bewaffneten Oppositionellen den geringsten Unterschied zu machen. "Wer noch geglaubt hatte, mit den Machthabern in Damaskus über die politische Zukunft Syriens verhandeln zu können, sollte diese Naivität endlich über Bord werfen", schreibt der FAZ-Journalist Rainer Herman in seinem Kommentar für die DW.
Der Assad-Regierung geht es offenbar nicht allein darum, Idlib wieder unter ihre Kontrolle zu bringen. Sondern auch, ein Exempel zu statuieren und die Bürger ein weiteres Mal daran zu erinnern, dass jeder Widerstand gegen die Regierung ein tödliches Risiko ist. Diese Lektion dürften die Syrer auf Jahre, wenn nicht Jahrzehnte verinnerlicht haben.
Der Iran: Unsichtbare vor Ort
Auch der Iran ist in Idlib allem Anschein nach präsent. Offiziell hat die Regierung in Teheran die Anwesenheit iranischer Kräfte zwar nicht bestätigt. Doch Ende Januar berichtete die britische Zeitung "The Daily Telegraph" über abgefangene Funkverbindungen iranisch unterstützter Kämpfer aus Afghanistan, die der so genannten "Fatemiyoun Division" angehören. Diese belegten die Beteiligung der Kämpfer an der Schlacht um Idlib, so die Zeitung. Die Zahl dieser Kämpfer beträgt demnach zwischen 400 und 800.
Iran steht bereits seit Jahren an der Seite der Assad-Regierung. Die Regierung in Teheran bemüht sich um Verbündete in der arabischen Welt. Davon hat sie nicht allzu viele. Vor allem hat sie kaum gute Beziehungen zu den Regierungen in der Region. Die engsten sind die zum Kabinett von Baschar al-Assad. Dazu kommen noch inoffizielle Kontakte zur Hisbollah im Libanon, zu einer Reihe schiitischer Gruppen im Irak oder zu den die aufständischen Huthis im Jemen.
Daneben verfolgt der Iran auch geschäftliche Interessen in Syrien. So sind attraktive Immobilien etwa in Damaskus in den Besitz iranischer Bürger übergegangen.
Die Rebellen: zum Kämpfen verurteilt
Die Rebellen in Idlib setzen sich aus unterschiedlichen ideologischen Gruppen zusammen. Vor Ort finden sich islamistische, dschihadistische und säkulare Kräfte.
Im vergangenen Herbst hatten sich Einheiten der Freien Syrischen Armee (FSA) mit der von der Türkei im Kontext ihrer Intervention in Nordsyrien 2018 ins Leben gerufenen oppositionellen Nationalarmee zusammen. Dieser "organisatorische Schritt" werde den Rebellen helfen, das Land vom Regime zu befreien, hatte ein Sprecher damals erklärt.
Unabhängig von diesem Bündnis agiert die bedeutendste dschihadistische Gruppe in der Region, die Al-Kaida verbundenen Miliz "Hajat Tahrir al-Scham" (HTS). Sie gilt weiterhin als stärkste Kraft in Idlib. Insbesondere die HTS liefert Syrien und Russland die Rechtfertigung für ihre Operation: Diese, erklären Politiker aus Damaskus und Moskau, wende sich ausschließlich gegen "Terroristen".
Allen Rebellengruppen gemeinsam ist der Umstand, dass sie kaum eine andere Option haben, als bis zum Ende weiter zu kämpfen. Sollten sie sich ergeben, können sie auf Gnade kaum hoffen. Bislang haben Syrien und Russland keine Gefangenen gemacht: Der Kampf um Idlib ist einer um Leben und Tod.
Die europäischen Staaten: ohnmächtige Beobachter
Die europäischen Staaten verharren in der Zuschauerrolle. Wiederholte diplomatische Bemühungen sind ins Leere gelaufen. Zwar vermögen die Europäer das Los der Zivilisten durch humanitäre Unterstützung zu lindern, politisch aber richten sie kaum etwas aus. Zugleich wollen die europäischen Staaten so wenig Flüchtlinge wie möglich aufnehmen. So bleibt ihnen nur auf Mäßigung zu drängen. Bundesaußenminister Heiko Maas etwa beklagte zuletzt eine "humanitäre Katastrophe" im syrischen Idlib. Mitverantwortlich dafür seien Russland und die Türkei.