Illegale in den USA
10. April 2017Esme Colin Gomez ist 19 Jahre alt, sie studiert an der Indiana University. Im Mai 2018 wird sie ihren Abschluss in Psychologie machen. Dennoch blickt sie in eine ungewisse Zukunft. Ihre Mutter brachte sie im Alter von vier Jahren illegal in die USA, viele Jahre lebte Esme ohne Papiere im Land. Die Familie verließ Mexiko im Jahr 2001: "Wir waren arm. Meine ältere Schwester und ich hatten keine Perspektiven. Meine Mutter wollte uns ein besseres Leben in den Vereinigten Staaten ermöglichen", erklärt Esme, die ihr Geburtsland Mexiko nie betreten hat und die Vereinigten Staaten als ihre Heimat betrachtet. In den letzten Monaten sei die Situation für sie und ihre Schwester schwieriger geworden: "Die Menschen sind feindselig. Auf der Straße werde ich von Fremden verbal angegriffen. Sie beschimpfen mich als Kriminelle, die zurück in ihr Land gehen soll."
In den USA leben rund elf Millionen Menschen, die keine Papiere haben: Manche arbeiten in Restaurants oder als Büroangestellte, andere sind Handwerker oder Kassierer in Supermärkten. Sie sind zwar offiziell Illegale im Land, aber dennoch ein wichtiger Teil der US-Wirtschaft. Donald Trump will sie trotzdem abschieben und damit eines seiner größten Wahlversprechen umsetzen. Razzien und eine verschärfte Abschiebepraxis versetzen Migranten seit mehreren Wochen landesweit in Panik.
Mit Hilfe des Anwalts Edward Shomo, der auf Einwanderungsrecht spezialisiert ist, erneuert Esme regelmäßig ihren Antrag für das DACA-Programm (Deferred Action for Childhood Arrivals). Dieses schützt sie als Tochter von illegal Eingewanderten vor der Abschiebung. Sie gehört zu den 750.000 jungen "Dreamers", die seit 2012 durch die Verordnung geschützt werden. Daher erhält sie derzeit eine auf zwei Jahre begrenzte Arbeitserlaubnis und eine Sozialversicherungsnummer. Sie kann studieren, hat einen Führerschein und darf legal im Land arbeiten. Aber genau diese Rechte droht sie zu verlieren - wenn Donald Trump sein Wahlkampfversprechen durchsetzt und das DACA-Programm kippt.
Familien werden auseinandergerissen
Auch die Tochter von Ismael Delgado aus Phoenix verlässt sich als "Dreamer" auf DACA. Ihr Vater ist durch das Programm jedoch nicht geschützt. Aus Angst vor einer Abschiebung lebt er seit über anderthalb Jahren getrennt von seiner Familie in einer sogenannten "Sanctuary Church". Diese gewährt Menschen ohne Papiere Zuflucht und finanzielle Unterstützung. Der 46-Jährige erhielt bereits im August 2015 einen offiziellen Brief von der "U.S. Immigration and Customs Enforcement"-Behörde, kurz ICE, die seine Abschiebung innerhalb der nächsten 60 Tage ankündigte. Er lebt seit 25 Jahren in den USA, arbeitete als Koch in einem Golfclub und fiel den Behörden durch einen Strafzettel auf. Eine Trennung von seiner Familie war für den zweifachen Familienvater undenkbar, daher flüchtete er sich in die "Shadow Rock United Church of Christ" im Norden von Phoenix.
Ken Heintzelmann ist Pfarrer in dieser Kirche, die derzeit neben Ismael noch einem weiteren Familienvater aus Arizona Unterschlupf gewährt. Für die Kirchengemeinde ist es selbstverständlich, zu helfen: "Die Razzien nehmen derzeit Überhand. Eltern werden von ICE aufgegriffen, nachdem sie ihre Kinder zur Schule gebracht haben. Sie kommen am Abend einfach nicht mehr nach Hause, weil sie verhaftet wurden", erzählt Heintzelmann, der die wachsende Angst in seiner Gemeinde mit großem Unmut beobachtet. "Der Kreis der Menschen, denen Ismael vertraut, ist so weit geschrumpft, dass er die Kirche nicht mehr verlässt. Seine Familie besucht ihn stattdessen mehrmals wöchentlich in den Räumen der Gemeinde. Das ist das letzte Stück Familienleben, das ihnen noch geblieben ist."
Kirchen helfen im ganzen Land
Auch Justo González II, Pfarrer der "Pilgrim-St. Luke‘s & El Nuevo Camino Church" in Buffalo setzt sich für die Rechte von illegalen Migranten in den USA ein. Er selbst ist Sohn von Einwanderern. Die Kirche befindet sich in unmittelbarer Nähe zur kanadischen Grenze. Menschen ohne Papiere reisen aus dem ganzen Land in die Zufluchtsstätte und finden Hilfe bei der kleinen Kirchengemeinde im Bundesstaat New York. In Zusammenarbeit mit einer NGO in Buffalo helfen sie und unterstützen die Betroffenen bei ihrem Asylantrag in Kanada. "Derzeit leben 25 Menschen in unserer Kirche, darunter auch drei Familien. In den letzten Monaten halfen wir 15 Menschen, auch Kindern, bei der erfolgreichen Einreise nach Kanada", erklärt Justo González II.
Menschen aus El Salvador, Kolumbien, Venezuela, Mexiko und Guatemala suchen mit Hilfe von Pfarrer Justo González II einen sicheren Weg, um ein neues Leben in Kanada zu beginnen. So auch der 36-Jährige Marcos aus Guatemala, der uns bat, aus Sicherheitsgründen seinen Namen im Artikel zu ändern. Er lebt seit 2004 ohne Papiere in den USA, verließ sein Land aus Angst vor dem Drogenkartell, das ihn als 13-Jährigen, der keiner Gang angehörte, mit Morddrohungen erpresste. "Ich wusste, dass ich nicht in meiner Heimat bleiben konnte. Daher floh ich über die Grenze nach Honduras, daraufhin nach Mexiko und schließlich in die USA, wo ich im Februar 2004 ankam." Die Flucht führte den Jugendlichen ohne seine Familie in ein Land, in dem er seitdem versucht, ein neues Leben zu beginnen. "Die Situation hat sich in den letzten Monaten stark verschlechtert. Ich kam mit Aushilfsjobs über die Runden. Inzwischen ist es aber für mich unmöglich, zu arbeiten, weil ich fürchte, abgeschoben zu werden."
Abschiebungen können jeden treffen
Die Härte der neuen Regierung verängstigt Menschen im ganzen Land. Denn die US-Regierung und die Einwanderungsbehörde ICE konzentrieren sich nicht nur auf Kriminelle, so wie es Donald Trump selbst in seiner Rede vor dem Kongress ankündigte. Inzwischen reichen schon kleinste Delikte, etwa ein Strafzettel fürs Falschparken, aus, um ins Visier der Ermittler zu geraten. "Das Vorgehen der Behörden ist zu radikal. Wenn Mütter Angst davor haben, ihre Kinder nach der Schule nicht mehr abholen zu können, läuft etwas falsch", kommentiert Anwalt Edward Shomo, der Mitglied der "American Immigration Lawyers Assocation" ist.
Diese Vereinigung hilft papierlosen Migranten aus allen Bundesstaaten und erklärt ihnen ihre Rechte. Die meisten sind ratlos und wissen wenig über ihre rechtliche Lage in den USA. Anwälte händigen daher inzwischen sogenannte "Know Your Rights-Cards" aus, die wichtigste Informationen rund um ihren Rechtsstatus auflisten. Das nimmt den Menschen dennoch nicht die Angst. Shomo beobachtet nicht nur in seiner Heimat Indianapolis, sondern im ganzen Land eine wachsende Unruhe: "Die Menschen leben in Ungewissheit und in Angst, befürchten bei jedem Klopfen an der Tür die Einwanderungspolizei."