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"Im Fall Gotovina ist alles möglich"

10. Februar 2005

Die EU-Beitrittsverhandlungen mit Kroatien sind in Gefahr, weil ein mutmaßlicher Kriegsverbrecher nicht ausgeliefert wird. Unklar ist, wo sich Ante Gotovina befindet. Präsident Stipe Mesic erklärt die Position Zagrebs.

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Der kroatische Präsident weiß auch nicht, wo Gotovina stecktBild: dpa


DW-RADIO/Kroatisch: EU-Erweiterungskommissar Olli Rehn hat erklärt, die Europäische Kommission könnte aufgrund der ihr derzeit zugänglichen Informationen über die Zusammenarbeit Kroatiens mit dem UN-Kriegsverbrechertribunal ICTY in Den Haag eine Aufnahme der Beitrittsverhandlungen mit Kroatien nicht empfehlen. Hat Sie diese Aussage überrascht?

Stjepan Mesic: Die Aussage von Olli Rehn hat mich nicht überrascht, weil wir schon die ganze Zeit von der Europäischen Union und vom ICTY Erklärungen bekommen, in denen unsere volle Zusammenarbeit mit dem Kriegsverbrechertribunal verlangt wird. Klar ist: Sie haben von uns erwartet, dass wir den flüchtigen ICTY-Angeklagten Ante Gotovina entweder verhaften, falls er sich in Kroatien befindet und ausliefern, oder Beweise vorlegen, dass er sich nicht im Land versteckt. Diese Beweise haben wir unseren europäischen Freunden bislang noch nicht vorgelegt.

Mit Ihren Reisen nach Paris und Ihren Gesprächen mit dem französischen Staatspräsidenten konnten Sie zu einer milderen Haltung Frankreichs gegenüber Kroatien beitragen. Da Frankreich ebenso wie Deutschland ein wichtiges Mitglied der EU ist, würde uns interessieren, wie Sie die Position der beiden Länder im Hinblick auf den Beitritt Kroatiens zur EU sehen?

Kroatien hat sehr gute Beziehungen sowohl zu Deutschland als auch zu Frankreich. Beide Länder unterstützen uns auf dem Weg, unsere strategischen Ziele zu erreichen. Das heißt, den Beitritt zur Europäischen Union und die NATO-Mitgliedschaft. Ebenfalls unterstützen sie uns in unseren Bemühungen, den Standard der EU-Länder so schnell wie möglich zu erlangen. Was speziell Frankreich angeht, so hat es uns in allen unseren Vorhaben unterstützt. Im Unterschied zu früher, als Frankreich noch relativ distanziert war, gibt es heutzutage in Kroatien immer mehr französisches Kapital und auch Technologie. Sowohl von Deutschland als auch von Frankreich erwarten wir weiterhin Unterstützung in unseren Bemühungen, dass Kroatien die EU-Beitrittsverhandlungen direkt mit Elan aufnimmt und seine Ziele erreicht.

Wenn wir schon über Frankreich sprechen, müssen wir im Fall Gotovina die Möglichkeit in Betracht ziehen, dass er sich als ehemaliger Angehöriger der Fremdenlegion, in der er jahrelang gedient hat, in Frankreich versteckt.

In meinen Gesprächen mit unseren französischen Freunden habe ich immer wieder betont, dass Ante Gotovina zwar unser Staatsbürger sei, aber als ehemaliges Mitglied der französischen Fremdenlegion auch die französische Staatsbürgerschaft besitze. Demnach könnte er sich in Kroatien, irgendwo außerhalb Kroatiens, eventuell in einem Land in der Nähe von Kroatien, aber auch viel weiter weg, in Frankreich oder auf französischem Territorium außerhalb des europäischen Kontinents befinden. Das alles ist möglich. Und es ist unsere Aufgabe, all diesen Spuren nachzugehen und darüber den Strafgerichtshof in Den Haag zu informieren, damit auch das Tribunal zur Überzeugung gelangen kann, dass Ex-General Gotovina - trotz aller Bemühungen unsererseits - nicht ausgeliefert werden kann, weil er sich nicht in Kroatien befindet. Was wir beweisen müssen, ist, dass wir diesbezüglich alles, aber wirklich alles unternommen haben und er sich nicht in Kroatien befindet.

Bei der EU heißt es häufig, für Kroatien sei es - neben der Auslieferung von Gotovina - ebenso wichtig, die erforderlichen Reformen voranzutreiben, etwa der Justiz oder der marktwirtschaftlicher Einrichtungen. Wird Ihrer Meinung nach ausreichend in dieser Richtung unternommen?

Kroatien hat bereits einige Reformen im Einvernehmen mit den Standards der EU durchgeführt. Kroatien hat seine Streitkräfte umstrukturiert und nun steht die Justizreform bevor, um europäischen Standard zu erreichen. Ferner steht eine Reform der öffentlichen Verwaltung bevor, was insbesondere hinsichtlich der Kompatibilität mit den EU-Ländern wichtig ist.

Man sagt, die einzig richtige Antwort auf die Frage, wer Kroatien in die EU führen würde - Sanader oder Račan - sei: Mesić!

Auch das wäre gut, weil es bedeuten würde, dass Kroatien innerhalb meiner Amtszeit von fünf Jahren mit einer Mitgliedschaft in der EU rechnen kann.

Das Interview führte Gordana Simonovic, Zagreb

DW-RADIO/Kroatisch, 9.2.2005, Fokus Ost-Südost