15 Jahre danach
16. Juli 2009Dieses Jahr treffen sich die Angehörigen nicht um 9.53 Uhr vor der AMIA, der wichtigsten jüdischen Institution Argentiniens. So wie sie es jedes Jahr am 18 Juli getan haben. Seit 15 Jahren. Aus "gesundheitlichen Gründen" wurde der Trauerakt zunächst verschoben – in Argentinien breitet sich die "Gripe A", die Schweinegrippe, immer weiter aus und legt das öffentliche Leben lahm. Nach Mexiko und den USA ist es das Land mit den meisten Todesfällen. Von Versammlungen sei derzeit abzusehen, raten Experten.
In den Vorjahren kamen immer Dutzende, um der Opfer zu gedenken. 9.53 Uhr war es, als am 18. Juli 1994 vor der AMIA eine Autobombe explodierte. Die Namen der 85 Menschen, die sie in den Tod riss, werden einmal im Monat laut vorgelesen. "Das Ziel des Attentats war ein jüdisches, aber der Anschlag richtete sich zweifellos gegen das ganze Land", sagt Guillermo Borger, heutiger Präsident der AMIA, und bekräftigt: "Die wichtigste jüdische Organisation Argentiniens anzugreifen, die sich mitten in Buenos Aires befindet, an einem Wochentag morgens um kurz vor zehn, ist ein Attentat auf die ganze argentinische Gesellschaft."
Weiss auf schwarz
Bei dem Bombenanschlag wurden jüdische und auch viele nicht jüdische Argentinier getötet, die zufällig an dem siebenstöckigen Gebäude des traditionsreichen Sozialverbands vorbeikamen – oder die Arbeitsvermittlung der AMIA besuchten, die allen Bürgern offen steht. Die Vornamen der Opfer stehen heute weiss auf schwarz an der hohen Mauer, die den 1998 eingeweihten neuen Sitz der Organisation von der Straße abschottet. Dabei ist der Name der Kindergärtnerin Andrea, die am Morgen des 18. Juli 1994 in die AMIA gekommen war, weil sie einen Job suchte. "Ich hoffe, dass ich nicht sterbe, bevor endlich Gerechtigkeit geschaffen wird. Ich lebe im Land der Straflosigkeit", sagt Andreas Mutter Sofía Guterman voller Bitterkeit. Andrea war 28, als sie unter den Trümmern des einstürzenden AMIA-Gebäudes starb. Seit fünfzehn Jahren warten ihre Eltern und die anderen Angehörigen, wartet die argentinische Gesellschaft vergeblich darauf, dass die Urheber des Attentats vor Gericht gestellt und bestraft werden.
Blutige Antwort
Dass die Drahtzieher im Iran sitzen und Mitglieder der libanesischen Hisbollah-Miliz den Anschlag ausführten, gilt für die 2005 neu eingesetzten Sonderermittler als bewiesen. "Es ist auch von Interpol bestätigt worden, dass das Attentat von höchster Stelle im Iran angeordnet, geplant und finanziert wurde," sagt Sonderstaatsanwalt Alberto Nisman Auch an den Beweggründen des Iran hat er keinen Zweifel. Das Attentat auf die AMIA 1994 sei eine blutige Antwort darauf gewesen, dass Argentinien die Lieferung von Atomtechnologie an Teheran ausgesetzt habe. Dies sei auch das Motiv für den Anschlag auf die Israelische Botschaft in Buenos Aires gewesen - zwei Jahre zuvor. Dabei wurden 29 Menschen getötet.
Auf Antrag der argentinischen Justiz erließ Interpol vor zwei Jahren internationale Haftbefehle gegen fünf hochrangige Mitglieder der iranischen Regierung von 1994. Ex-Präsident Nestor Kirchner und seine Frau, die jetzige Staatschefin Cristina Kirchner, haben vor der UN-Vollversammlung die Auslieferung der Iraner gefordert. Die Islamische Republik selbst hat eine Kooperation abgelehnt. Und es gibt auch Beobachter des Falls AMIA, die mit Skepsis betrachten, dass die argentinische Justiz die Schuldigen im Iran und der Hisbollah sehen – und dies dem Druck der USA zuschreiben.
Schlampige Ermittlungen
Als die erste Ermittlergruppe 1994 ihre Arbeit aufnahm, um herauszufinden, wie und von wem das Attentat vor Ort in Buenos Aires vorbereitet worden war, ging eine Menge schief. "Viele Personen mit öffentlichen Ämtern haben die Ermittlungen behindert und Dinge vertuscht", sagt Nisman. "Wenn diejenigen, die ermitteln sollen, es nicht tun, sondern stattdessen Spuren verschleiern, ist es unmöglich, die Wahrheit herauszufinden. Jene Personen sind schuld daran, dass die Verantwortlichen des Attentats heute nicht im Gefängnis sitzen."
Die Unregelmäßigkeiten, die er anprangert, führten dazu, dass 2004 nach einem dreijährigen Gerichtsprozess alle bisherigen Ermittlungen zum Attentat für nichtig erklärt wurden. Ein Hauptverdächtiger wurde freigesprochen. Ebenso vier ehemalige Polizisten, die von jenem Hauptverdächtigen beschuldigt worden waren. Dafür kassierte dieser allerdings 400-tausend US-Dollar – vom argentinischen Geheimdienst und mit Einwilligung des Ermittlungsrichters, der 2003 abgesetzt wurde. Auch Argentiniens ehemaliger Präsident Carlos Menem steht in keinem guten Licht da. Er habe die Ermittlungen gegen einen Verdächtigen behindert, dessen Familie er kannte, sagt Nisman.
Ein Durchbruch?
Viel Zeit wurde durch Verschleierung und Vertuschung im Fall AMIA verloren. Die Unregelmäßigkeiten werden zur Zeit in einem separaten Verfahren untersucht. Und auch Menem soll sich vor Gericht verantworten. Die argentinische Justiz präsentierte im Juni Ermittlungsfortschritte. Gegen einen im Libanon lebenden Kolumbianer wurde Haftbefehl erlassen. Er soll die Hisbollah-Gruppe, die laut Sonderstaatsanwalt Nisman das Attentat ausführte, in Argentinien empfangen haben. Ein wirklicher Durchbruch? Oder doch wieder nur eine der vermeintlichen Erfolgsmeldungen, die die Angehörigen vor den Jahrestagen des Anschlags ruhig stellen sollen? Sofía Guterman, Mutter der getöteten Andrea, fällt das Vertrauen in die Justiz heute schwer. Vor vielen Jahren hat sie angefangen, in Schulen über das Attentat und ihre Erfahrungen zu sprechen. Ihren Schmerz hat sie in mehreren Büchern verarbeitet. „ Ich glaube, wenigstens werde ich ein ruhiges Gewissen haben, weil ich alles tue, was in meiner Macht steht, damit der Anschlag nicht vergessen wird, und damit weiter ermittelt wird.“
Autorin: Victoria Eglau
Redaktion: Anne Herrberg