Kinder schreiben eigene Bücher
22. Mai 2009
Mittwochnachmittag in der Hans-Poeche-Straße 2. Im Bastelzimmer trudeln die ersten Kinder ein. Linus und Niklas sind schon da und sitzen am großen Holztisch. Der achtjährige Linus schreibt dort an einer Geschichte über ein verzwicktes Labyrinth, für den gleichaltrigen Niklas steht das entscheidende Spiel seines 1. FC Albert an. Die Geschichten stehen beide noch am Anfang, mit vielen Leerstellen und offenen Enden. Allmählich schälen sich aber Worte und Bilder heraus, die von den Kindern aufs Papier gebracht oder in Linoleum eingeritzt werden. Irgendwann werden die Geschichten fertig sein und dann in Büchern erscheinen.
Teufel und schöne KönigstochterSein erstes Buch hat Linus bereits geschrieben: "Das Auge des Teufels". Auf die Frage, worum es darin geht, schnappt er sich das Buch im roten Einband und beginnt zu lesen: "Das Dumme dabei war, dass der König nicht seine Tochter erkennen konnte. Deshalb schubste er das hässliche Mädchen vom Balkon – weil er dachte, es wäre nicht seine Tochter. Deswegen schubste er die Hässliche zum großen Schlossteich hinaus." Die vom Teufel besessene Königstochter wird vom Vater verstoßen – am Ende fällt sie dem Beelzebub vollends in die Arme und wird ihn heiraten. Fast ein Jahr hat der Schüler an seiner Geschichte gebastelt – eine angemessene Zeit für ein Buch, findet Linus: "Das dauert so lange, bis alles fertig ist. Man muss sich ja einen Titel überlegen, die ganze Geschichte ausdenken und auch die Bilder selber machen."
Aus Geschichten werden Bücher
Selber machen – das ist das große Motto im Leipziger Verein Buchkinder e. V., der seit 2001 Jungen und Mädchen zu Autoren macht. Zwischen vier und sechzehn Jahre alt sind die Nachwuchsschriftsteller, die meisten haben schon in ihrer Freizeit erste kleine Geschichten verfasst. Bei den Buchkindern werden daraus dann Bücher – selbst verfasste Bücher, von der Idee, über Text und Bildgestaltung bis zum Druck bleibt alles in der Hand der Kinder.
Gegründet hat den Verein Ralph-Uwe Lange, der früher Lehrer war: "Wir möchten, dass die Kinder bei uns ihre Gedanken frei entfalten können und im kreativen Miteinander Bilder und Texte entstehen. Geschichten, die Lebenswirklichkeit der Kinder abbilden – keine Kinderveralberungsliteratur, sondern Kinderliteratur." Da bleibt es nicht aus, dass die Grenzen von Orthografie und Grammatik großzügig verschoben werden. Der Wolf verstellt sich nicht, er "fertschelt" sich, und eine Stute ist eine "Sschtute". Bei den Buchkindern wird das in Kauf genommen. Inhaltlich ist ohnehin alles erlaubt. Vom Löwe Leopold bis zur Indianerstrumpfhose geht es querbeet durch den Fantasiegarten.
130 Bücher und sieben SonnenIn den vergangenen acht Jahren sind in dem Verein 130 Bücher erschienen. Jede Woche besuchen über 100 Jungen und Mädchen die verschiedenen Kurse. Annika zählt mit ihren zwölf Jahren schon zu den älteren Buchkindern, jeden Mittwoch kommt die Schülerin in die Schreibwerkstatt in einem ehemaligen Industriegebäude. Zusammen mit ihrer Freundin Laura Maria sitzt sie etwas abseits, in einem eigenen Raum. Ein Privileg der Älteren. "Meine erste Geschichte hieß Im Tal der sieben Sonnen", erinnert sich Annika, "die ist mir damals im Traum eingefallen. Es geht es um einen Jungen, Menso, der das Tal der sieben Sonnen vor einem Bösewicht retten muss." Zur Zeit sitzt Annika an einem neuen Buch. Worum es darin geht, will sie aber noch nicht verraten.
Demnächst wird das Projekt "Buchkinder" noch um eine pädagogische Komponente erweitert: Ab kommendem Jahr soll es auch einen Buchkinder-Kindergarten geben.
Autor: Sven Näbrich
Redaktion: Gabriela Schaaf