Immer mehr Menschen reagieren allergisch
28. Juni 2005
"Allergien sind längst nicht mehr ein Problem der übersättigten Industrieländer, sondern ein globales Problem", sagt Johannes Ring, Allergologe am Institut Biederstein (Technische Universität München). Weltweit leiden bereits 20 Prozent aller Kinder unter Allergien. Auch bei Erwachsenen verbreiten sich die Abwehrreaktionen immer stärker. "Vor allem in den Entwicklungsländern steigt die Zahl der Allergie-Erkrankungen", gibt auch Carlos Baena-Cagnani, Präsident des weltgrößten Allergiekongresses in München (26. Juni bis 1. Juli 2005), zu bedenken. Die Symptome der Allergien reichen von Heuschnupfen und Asthma über Juckreiz bis hin zu Ekzemen und Neurodermitis.
Warum nehmen die Allergien zu?
Die Forschung läuft international auf Hochtouren, aber es gibt buchstäblich so viele Fachärzte, wie es Symptome gibt: Hautärzte, Lungenspezialisten, Hals-Nasen-Ohren-Ärzte und Kinderärzte befassen sich mit dem Thema. Noch immer ist nicht klar, welche Mechanismen genau dazu führen, dass das Immunsystem plötzlich überempfindlich auf Stoffe reagiert, die eigentlich harmlos sind.
1960 waren Allergien selten: Nur drei Prozent der Weltbevölkerung haben damals auf etwas überempfindlich reagiert. 1995 seien es bereits rund 30 Prozent gewesen, berichtet Allergologe Ring. Auf der Liste der häufigsten Erkrankungen stehen Allergien bereits heute an vierter Stelle. Nach Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) könnten im Jahr 2010 ungefähr 40 bis 50 Prozent der Weltbevölkerung unter einer Allergie leiden. Als eine der Hauptursachen für den Anstieg gelten die Veränderungen im Lebensstil.
Eine weitverbreitete Theorie besagt, dass das Immunsystem der Patienten in der Kindheit nicht mit genügend Keimen in Berührung kam und deshalb - sozusagen aus Unterforderung - Überreaktionen entwickelt. So werde derzeit erforscht, wie Parasiten das Immunsystem beeinflussten und die Entwicklung von Allergien verhinderten. In Gegenden, wo viele Wurmerkrankungen aufträten, seien Allergien seltener, haben die Forscher herausgefunden.
Besonders häufige Leiden:
In extremen Fällen - wie bei Überempfindlichkeit gegen Insektengift - können Allergien tödlich verlaufen. Zwei bis drei Prozent der Bevölkerung seien allergisch gegen Bienen- und Wespengift, weiß der Allergologe Ulf Darsow von der Technischen Universität (TU) München. Man könne diese Patienten aber relativ zuverlässig desensibilisieren. Manche vermeintlich durch Kreislaufschwäche verursachte Bewusstlosigkeit sei in Wirklichkeit vermutlich auf Insektenallergien zurückzuführen - dies werde aber oft nicht erkannt, wenn der Stich nicht vom medizinischen Notdienst behandelt werde.
Der Forscher Claus Bachert warnt davor, Heuschnupfen auf die leichte Schulter zu nehmen. Bis zu 40 Prozent der Heuschnupfenpatienten entwickelten Asthma, viele würden unter Schlafstörungen leiden. "Die indirekten Kosten der Folgekrankheiten sind wesentlich höher als die direkten Behandlungskosten." Mehr als 40 Prozent der Heuschnupfenpatienten seien chronisch krank. Die Kosten einer unbehandelten Erkrankung liegen laut Bachert bei 350 Euro pro Patient und Monat. Durch eine richtige Therapie könnten immerhin 150 Euro eingespart werden.
Bis zu 20 Prozent der Bevölkerung in Europa und den USA leiden unter einer Sonnenallergie. Darauf hat die Allergologin Bernadette Eberlein-König von der Technischen Universität (TU) München hingewiesen. Von dieser polymorphen Lichtdermatose - so der medizinische Fachausdruck - seien vor allem junge Frauen im Alter von 20 bis 30 Jahren betroffen. Die genauen Ursachen für die Sonnenallergie seien noch unbekannt. Diese Überempfindlichkeit äußere sich in Juckreiz, Rötungen oder Knötchenbildungen insbesondere an Händen, Armen, Achseln und im Dekolleté.
Neue Auslöser
Der in die Diskussion geratene Feinstaub in der Luft verstärkt vorhandene Allergien. Dies hänge damit zusammen, dass die ultrafeinen Partikel etwa aus Dieselabgasen in die tiefsten Lungenabschnitte vordringen. "Die Wirkung steht außer Frage, nur der genaue Mechanismus ist noch unklar", so Experte Ulf Darsow. So habe eine Studie in Japan gezeigt, dass die Häufigkeit von Heuschnupfen zunehme, je näher die Betroffenen an einer viel befahrenen Straße - mit entsprechender Feinstaubbelastung - wohnen. (arn)