Kongo muss massenhaft Impfstoff vernichten
22. Juli 2021Beinahe jeden Tag stecken Autos, Motorradtaxen und Fußgänger im Stau vor dem Provinzkrankenhaus in Goma fest. Die Straße vor dem Hospital in der Großstadt im Osten Kongos ist blockiert, weil Freunde und Verwandte Verstorbene aus dem Kühlhaus abholen, um sie zu beerdigen. Seit einigen Wochen sind in der ostkongolesischen Provinz Nord-Kivu immer mehr COVID-19-Patienten unter den Toten.
Stéphane Hans Bateyi ist verantwortlich für alle Impfkampagnen der Provinzregierung. Der Arzt führt den Anstieg unter anderem auf den Ausbruch des Nyiragongo-Vulkans im Mai zurück. "Das war vorhersehbar", sagt Bateyi. "Als die Leute nach dem Vulkanausbruch nach Sake, Rutshuru und Butembo geflüchtet sind, hat niemand die Hygieneregeln beachtet. So hat sich die Krankheit in großem Ausmaß verbreitet."
Die Demokratische Republik Kongo verzeichnete bis Mitte Juli mehr als 46.000 Corona-Fälle. Vermutlich sind es deutlich mehr. Denn es wird nur wenig getestet. Laut der offiziellen Statistik sind bislang 1018 Menschen an der Krankheit gestorben. Unter den Opfern sind auch viele Politiker, Professoren und Geschäftsleute. Nach der Hauptstadt Kinshasa verzeichnet die Provinz Nord-Kivu die meisten Patienten im Land - es sind mehr als 4000.
Den Krankenhäusern gehen Sauerstoff, Masken, Handschuhe und Schutzumhänge aus. Die reichen Länder, selbst von Corona getroffen, würden in dieser Pandemie deutlich weniger spenden, als bei dem Ebola-Ausbruch vor drei Jahren, klagen Ärzte und Entwicklungshelfer.
Haltbarkeitsdatum überschritten
Doch der in das zentralafrikanische Land gelieferte Corona-Impfstoff wurde vielerorts nicht verbraucht. Nun müssen die kongolesischen Behörden große Mengen vernichten, weil das Haltbarkeitsdatum überschritten ist.
Der Kongo hatte Anfang März im Rahmen der COVAX-Initiative 1,7 Millionen Impfdosen für seine 90 Millionen Einwohner erhalten - alle hergestellt von AstraZeneca. Davon überließ die Regierung nach wenigen Wochen anderen afrikanischen Ländern 1,3 Millionen. Denn es war abzusehen, dass nicht alle Ampullen rechtzeitig verwendet würden.
Doch nicht nur wegen der schlechten Infrastruktur in dem riesigen Land verzögerte sich der Start der Impfkampagne. Kongos Gesundheitsminister Jean-Jacques Mbungani begründet das mit Zweifeln am Produkt: "Auf internationaler Ebene hat es Bedenken gegen AstraZeneca gegeben. Man hat vom Risiko einer Thrombose gesprochen."
In der Tat kann es in sehr seltenen Fällen zu Blutgerinnseln im Gehirn kommen - insbesondere bei jungen Frauen. Dänemark stoppte deshalb die Verimpfung von AstraZeneca. Und auch in Deutschland wurde dieses Vakzin zum Ladenhüter, weil viele Impflinge nur die Mittel von Moderna und BioNTech/Pfizer wollten.
Immenser Widerstand
Im Kongo ist der Widerstand in der Bevölkerung gegen das Impfen immens - was dann letztendlich die Kampagne zum Misserfolg machte. Eine Umfrage der Afrikanischen Union unter 15 Ländern zeigt, dass viele Kongolesen und Kongolesinnen skeptischer und weniger gut über Corona informiert sind als andere Afrikaner.
Tuver Wundi, Chefredakteur des Staatsradios in Goma, gibt den sozialen Medien eine Mitschuld: "Es wurde viel gehetzt. Die Leute dachten deshalb, dass sie als Versuchskaninchen herhalten müssten. Sie hatten Angst und glaubten, sie würden sterben." Ein Grund waren Gerüchte, dass Geimpfte nur noch eine Lebensdauer von zwei Jahren hätten.
Mediziner und Aktivisten fordern, dass die Bevölkerung besser aufgeklärt werden müsse, zumal das Misstrauen noch mehr steigt, seit ein Mann in der Hauptstadt Kinshasa tatsächlich im Anschluss an seine Impfung gestorben ist. Chefmediziner Bateyi versichert, dass der Fall untersucht und das Ergebnis veröffentlicht wird. Es sei bisher unklar, ob der Mann an der Impfung oder an etwas anderem gestorben sei.
Stéphane Hans Bateyi sieht den Kongo in einer kritischen Situation. Aufgrund der Skepsis seien bisher nur wenige Leute geimpft, und jetzt, da die Delta-Variante die Todeszahlen nach oben treibe, habe das Land keinen Impfstoff mehr. "Unsere Zahlen zeigen, dass wir nicht einmal bei 100.000 verimpften Dosen angelangt sind. Der Rest ist jetzt abgelaufen und muss vernichtet werden."
Nach dieser Rechnung werden in der Demokratischen Republik Kongo rund 300.000 Dosen entsorgt, mehr als in anderen afrikanischen Ländern, die ebenfalls mehr Impfstoff haben, als sie spritzen können. So müssen auch Malawi, Südsudan, Liberia, Mauretanien, Gambia, Sierra Leone, Guinea und die Komoren Vakzine entsorgen.
Ausländer als Vorbilder?
Anders als viele Kongolesen hat sich in der Provinzhauptstadt Goma so mancher Ausländer gerne impfen lassen. Im Krisengebiet Ostkongo arbeiten zahlreiche gut verdienende Angestellte internationaler Hilfsorganisationen und der Vereinten Nationen. Zuerst habe sie gezögert, gibt die Entwicklungshelferin Emma Camp zu. Schließlich sollen die Impfdosen der COVAX-Initiative armen Menschen zugutekommen. "Als wir aber hörten, dass der Impfstoff zurückgeschickt oder vernichtet wird, sind wir hingegangen. Ist doch besser wir nehmen die Dosen, als dass sie wegkommen", sagt die Britin.
Der Arzt Justin Hangi hätte sich zwar gewünscht, dass mehr Kongolesen in sein Krankenhaus zum Impfen gekommen wären. Trotzdem war er zufrieden mit den vielen Ausländern. "Es macht mir Freude, wenn ich Weiße impfe. Wenn sie sich impfen lassen, kann das auch unsere Bevölkerung ermutigen", gibt sich Hangi zuversichtlich.
Die Demokratische Republik Kongo hat inzwischen nochmals fünf Millionen Impfdosen bei der COVAX-Initiative angefragt. Ob dann auch Vakzine von Moderna und BioNTech/Pfizer geliefert werden, weiß bislang niemand. Die ersten Ampullen sollen Ende des Monats eintreffen.
Radio-Chefredakteur Tuver Wundi, der selbst bereits zwei Mal geimpft ist, hofft, dass die Kampagne dieses Mal besser läuft. "Wir können nicht noch einmal internationale Spenden verschwenden, die andere gut brauchen könnten", so seine Mahnung.