In China ist der Pinguin los
1. November 2002Mit einer massiven Unterstützungskampagne will die Regierung in Peking das alternative Betriebssystem Linux zum Herausforderer von Gigant Microsoft aufbauen. Denn die Dominanz des amerikanischen Konzerns auch im Software-Reich der Mitte ist den Chinesen ein Dorn im Auge. Sie wollen lieber eine eigene Software-Industrie und unabhängig von den ausländischen Patenten sein.
Da kommt das vom Finnen Linus Torvalds in seiner Studentenzeit entwickelte Betriebssystem gerade recht. Linux ist ein Open-Source-Programm. Das bedeutet, dass sein Programmiercode frei zugänglich ist. Jeder kann Linux weiterentwickeln und Anwendungen dafür schreiben, ohne dass Lizenzgebühren anfallen, wie das etwa bei Windows der Fall ist. Die Anschaffung von Linux kostet zudem im Vergleich zu Windows nur knapp ein Zehntel.
Red Flag Linux greift an
Die Regierung in Peking will die Vorteile des alternativen Betriebssystems nutzen und mit Linux die heimische Software-Entwicklung "kickstarten". Um künftig nicht länger auf westliche Technologie und den großen US-Konzern aus Redmond angewiesen zu sein, schicken die Chinesen einen nationalen Champion ins Software-Rennen: Red Flag Linux, eine Tocher der chinesischen Akademie der Wissenschaften. Das Unternehmen hat das alternative Betriebssystem für den chinesischen Markt angepasst, ihm eine neue Benutzeroberfläche gegeben und eine Softwaredokumentation erstellt.
Es ist wohl kein Zufall, dass der Name stark an den größten Linux-Distributoren Red Hat Linux erinnert. Das Unternehmen soll auf dem Wachstumsmarkt China ähnlich erfolgreich werden wie das Vorbild im Rest der Welt. Mit einem Unterschied: Während in den meisten Ländern gerade Flaute beim IT-Wachstum herrscht, sagt das Marktforschungs- und Beratungsunternehmen IDC dem Markt für Linux-Betriebssysteme in China jährliche Zuwachsraten von 43 Prozent voraus. Das Gesamtvolumen soll bis 2006 26,77 Millionen US-Dollar betragen.
Microsoft dominiert auch China
Zwar betont IDC in der neuen Studie "Worldwide Linux Market" dass Windows auch in China dominiere. "Als PC-Betriebssystem hat Linux wohl nicht den Schwung, um die Microsoft-Dynastie zu gefährden", so die Marktforscher. Doch langsam aber sicher gewinnt Linux an Boden. Während die großen PC-Händler ihre Rechner immer noch mit vorinstalliertem Windows vertreiben, statten viele kleinere Händler ihre Maschinen inzwischen standardmäßig mit dem rotbeflaggten Linux aus, um so im härter werdenden Wettbewerb billiger anbieten zu können. Ungefähr zehn Prozent der verkauften PCs werden schon heute mit einer der verschiedenen Linux-Versionen vertrieben, schätzt IDC.
Die Marktforscher glauben allerdings, dass viele User das "legale" System nach dem Kauf wieder vom Rechner werfen und stattdessen Windows aufspielen – als Raubkopie. Branchenverbände schätzen, dass in China über 94 Prozent der installierten Programme illegale Kopien sind. Künftig muss die chinesische Regierung im Zuge des WTO-Beitritts wohl härter gegen illegale Software vorgehen. Kritiker unterstellen indes Microsoft, der Konzern drücke bei Produktpiraterie ein Auge zu und sichere so seine Dominanz auf den chinesischen PCs.
Landgewinne bei Servern
Anders stellt sich die Situation im Profi-Bereich dar. Bei Servern konnte Linux in China 2001 hohe Wachstumsraten erzielen. 45.700 Mal ging das System über den Ladentisch. Der Pinguin hat in vielen Branchen Fuß gefasst. Linux-Verkäufer versorgen die chinesische Post, die Finanzindustrie und das Erziehungswesen, halten Einzug beim Groß- und Einzelhandel und der Energiewirtschaft. Vor allem die staatliche Unterstützung macht Linux stark. Auch wenn es der Goliath der Softwareindustrie ist – für seinen Kampf mit dem Pinguin sollte sich Microsoft vorsichtshalber warm anziehen.