Ausstellung zur Inklusion
13. September 2016Die Paralympics in Brasilien stehen zurzeit im öffentlichen Fokus. Behinderte Sportler aus aller Welt messen sich im sportlichen Wettkampf. Und sind dabei unter sich. "Inklusion" würde man es nennen, wenn Sportler mit und ohne Handicap in gemeinsamen Wettbewerben um Medaillen kämpften.
Anders die Wanderausstellung "Kunst trotz(t) Handicap". Mit ihr möchte die Diakonie Deutschland Inklusion verwirklichen. In der Documenta-Halle in Kassel sind zurzeit gut 200 Kunstwerke zu sehen, die genau das zeigen, was in klassischen Ausstellungen zeitgenössischer Kunst präsentiert wird: abstrakte und gegenständliche Malerei, Druckgrafik, Skulpturen, Fotokunst, geschaffen von über 100 Künstlerinnen und Künstlern mit und ohne Behinderung. Hinzu kommen Video-Arbeiten und Fotodokumentationen, die Handicaps aus verschiedenen Perspektiven in den Blick nehmen.
Was ist eigentlich ein Handicap?
Das Besondere: Nur ein knappes Drittel der Werke wurde von Künstlern ohne Handicap kreiert, sagt Andreas Pitz, Kurator der Ausstellung. "Wir haben den Begriff 'Handicap' bewusst gewählt, weil das ein sehr weiter Begriff ist. Das sind Künstlerinnen und Künstler mit ganz unterschiedlichen Handicaps: körperbehindert, geistig behindert, psychisch krank, suchtkrank."
Bemerkenswert: Die Materie gewordenen Ideen hängen oder stehen gleichberechtigt nebeneinander, ohne dass es einen Vermerk gibt, welcher seiner Schöpfer behindert ist und welcher nicht. Im Fokus soll die Kunst stehen, nicht die persönliche Situation der Künstlerinnen und Künstler.
Kunst auf Augenhöhe
"In vielen Einrichtungen der Behindertenhilfe und Diensten der psychiatrischen Versorgung werden Menschen mit künstlerischem Talent gefördert", erläutert Pitz im Gespräch mit der DW. Außerdem gebe es in Werkstätten und Ateliers spezielle Angebote, in denen sich kreativ Begabte entwickeln können. So entstünde immer wieder Kunst von hoher Qualität. Die Werke dieser Menschen werden im Rahmen der Wanderausstellung gemeinsam mit Exponaten von Künstlern mit akademischer Ausbildung präsentiert, die ebenfalls ein Handicap haben. Als Drittes kommen dann noch Werke von Künstlern hinzu, die bereits einen Namen in der Szene haben und die sich mit ihrem Schaffen für Menschen, die behindert sind, einsetzen.
Es mache die behinderten Künstler ungeheuer stolz, dass ihre Kunstwerke in berühmten Museen und Ausstellungshallen gezeigt und neben Exponaten bekannter zeitgenössischer Künstler hängen würden. "Da findet ein faszinierender Rollenwechsel statt. Wenn ich behinderte Künstler in meine Führungen einbinde, spielt die Behinderung überhaupt keine Rolle mehr. Da stehen dann in erster Linie Künstler." Für den Kurator ist klar: "In der Kunst ist der Mensch nicht mehr behindert."
Aufwendige Suche
Ein dreiviertel Jahr lang ist Andreas Pitz durch Deutschland gefahren, bevor die Ausstellung 2015 starten konnte. Er besuchte Ateliers und Werkstätten, sprach mit den Künstlern, schaute sich tausende Kunstwerke persönlich an, denn für ihn war entscheidend, dass es gute, anspruchsvolle Kunst sein muss. "Für mich macht einen guten Künstler aus, dass er einen unverwechselbaren Stil entwickelt hat. Es gibt in unserer Ausstellung eine ganze Menge Künstler, die eine eigene Bildsprache entwickelt haben, die sie unverwechselbar macht."
Ein weiterer Aspekt für die Auswahl der Kunstwerke sei gewesen, dass sie "dem Motto der Ausstellung gerecht werden, dass sich Menschen in ihrer Kunst mit dem, was sie behindert, was ihnen Probleme macht, auseinandersetzen." Gerade die Kunstwerke von psychisch kranken Menschen, so der erfahrene Kurator, machten das "ungeheuer eindrucksvoll deutlich".
Zur Halbzeit ein Wunsch
Diese siebte Station der Ausstellung "Kunst trotz(t) Handicap" in der documenta-Halle in Kassel (bis 18.09.2016) markiert zugleich die Halbzeit des gesamten Projekts. Bis Ende 2017 soll die Schau noch mindestens fünf Mal gezeigt werden, direkt anschließend (21.09.-19.10.2016) in Hannover. Finanziell unterstützt wird die Diakonie Deutschland dabei von der Hilfsorganisation "Aktion Mensch".
Am traditionsreichen Kunststandort der documenta-Halle, dort wo alle fünf Jahre die größte und weltweit am meisten beachtete Ausstellung zeitgenössischer Kunst stattfindet, hat Kurator Andreas Pitz aber noch einen verwegenen Wunsch: "Ich habe gerade mit Künstlern, die Ateliers leiten, überlegt, dass es eine große Idee sein könnte, unmittelbar nach der großen documenta eine Ausstellung mit Kunstwerken von Menschen mit Handicaps zu zeigen."
Das wäre in der Tat ein großes Ziel - hätte allerdings auch ein bisschen was von Paralympics, die ein bisschen wie ein Anhängsel der Olympischen Spiele wirken - die mit Handicap bleiben weitgehend unter sich und kommen erst zum Schluss dran. Da ist "Kunst trotz(t) Handicap" heute eigentlich schon weiter als der Sport.