Inspektionen mit Schwierigkeiten
11. September 2013"Die Regierung stimmt der russischen Initiative zu, um das Blutvergießen zu stoppen und einen Krieg zu verhindern." So begründete der syrische Premierminister Wael al-Halki die Entscheidung seiner Regierung, die Chemiewaffen des Landes internationaler Kontrolle zu unterstellen. Hält die Regierung ihre Zusage ein, dürften in absehbarer Zeit erneut Chemiewaffeninspekteure nach Syrien reisen – dieses Mal dann nicht, um einen weiteren Einsatz der geächteten Waffen zu dokumentieren, sondern um sie zu erfassen und anschließend zu vernichten.
Damit stehen die Inspekteure vor einer komplexen Aufgabe. Syrien ist in den letzten Jahren und Jahrzehnten keinem internationalen Chemiewaffenabkommen beigetreten. Der derzeitige Umgang des Landes mit diesen Waffen gründet auf einem Vertrag aus dem Jahre 1925. Entsprechend wenig wisse man über die Einzelheiten der Bestände, erläutert der selbständige Abrüstungsexperte Ralf Trapp. Sicher sei nur, dass der Vorrat erheblich sei: "Genannt werden in etwa tausend Tonnen, verteilt auf mehrere Standorte."
Untersuchungen derzeit kaum möglich
Entsprechend umfassend müssten künftige Inspektoren die Untersuchung angehen, so Trapp weiter. So bräuchte man zunächst ein Waffeninventar. Dann müsse man die genaue Anzahl und Lage der Depots in Erfahrung bringen. Anschließend gelte es die Bestände zu untersuchen. Diese Aufgabe erfordere den guten Willen aller Beteiligten. "Grundvoraussetzung ist, dass alle Parteien des syrischen Bürgerkrieges sich an diesem Prozess beteiligen und ihn tolerieren und unterstützen. Solange die Kämpfe noch andauern, sind solche Untersuchungen unmöglich."
Dass unter den gegenwärtigen Bedingungen Inspektion und anschließende Vernichtung der Chemiewaffen kaum möglich sind, sieht auch Oliver Meier so, Rüstungskontrollexperte an der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik. Bisherige Erfahrungen in anderen Ländern hätten gezeigt, dass solche Programme langwierig und technisch anspruchsvoll seien. Zudem kosteten sie viel Geld und erforderten Geduld. "Alle bisherigen Kontrollen liefen unter sehr viel günstigeren Bedingungen ab. Wie das in einem solchen Konflikt aussieht, der ja zunächst einmal beendet werden müsste, dazu hat man wenig Erfahrung sammeln können. Man kennt es zwar ansatzweise aus Libyen, aber nicht in diesem Ausmaß."
Erfassung sämtlicher Bestände nicht garantiert
Auch ist nicht auszuschließen, dass Assad einen Teil seines Arsenals vor den Inspektoren zu verstecken sucht. Fände die Inspektion im Rahmen des bestehenden internationalen Chemiewaffenübereinkommens statt, gebe es zwar Möglichkeiten, entsprechenden Zweifeln an Ort und Stelle nachzugehen, so Trapp. Es sei aber zweifelhaft, ob dieses Verfahren unter den aktuellen Bedingungen anwendbar sei.
Darum dürfte der Einsatz auch sehr personal- und zeitintensiv werden, erwartet Meier. Schon vor Monaten hätten die Vereinigten Staaten berechnet, wie viele Soldaten und Experten nötig wären, um das syrische Chemiewaffenarsenal im Rahmen einer Intervention, also ohne Absprache mit der syrischen Regierung, zu sichern. Die Militärstrategen kamen damals auf eine Zahl von 70.000 Mann. Eine Inspektion im Rahmen internationaler Absprachen erfordere erheblich weniger Personal. "Dennoch müssten Inspektionen und Kontrollen ja abgesichert werden." Auch darum müsse man in weiten Zeiträumen und Größenordnungen denken. "Es ist keine Aufgabe, die man in wenigen Monaten wird erledigen können. Das gesamte Programm wird sich über viele Jahre erstrecken."
Aufbau eigener Waffenvernichtungsanlagen unumgänglich
Nicht nur die Inspektion, sondern auch die Vernichtung der Waffen sei aufwendig, erläutert Ralf Trapp. Ein Arsenal dieser Größe lasse sich kaum mit kleineren oder mobilen Chemiewaffenvernichtungsanlagen bewältigen. "Dafür muss man eigene Anlagen bauen." Eine solche Anlage müsse errichtet, getestet und auch angefahren werden. "All das kann mehrere Jahre dauern. Eine weitere Voraussetzung ist, dass genügend Geld vorhanden ist. Erst wenn diese Voraussetzungen erfüllt sind, kann man mit der eigentlichen Vernichtung der Waffen beginnen."
Der Umstand, dass das bestehende Arsenal vernichtet ist, garantiert allerdings nicht, dass eine künftige Regierung irgendwann nicht versucht sein könnte, von neuem in den Besitz von Chemiewaffen zu kommen. Grundsätzlich werde das immer einfacher, erläutert Oliver Meier. "Die Technologien schreiten voran, und viele der zur Produktion nötigen Stoffe sind in einer Reihe von Einrichtungen vorhanden."
Wie leicht man Chemiewaffen in die Hände bekommen könne, habe der Fall der japanischen Aum-Sekte im Jahr 1995 gezeigt. Damals hatte die Gruppe einen Giftgasanschlag in der Tokioter Metro verübt, bei dem 13 Menschen ums Leben kamen. 54 wurden schwer verletzt, rund tausend weitere leicht. Die Sekte habe es mit erheblichen finanziellen, aber begrenzten technischen Mitteln geschafft, Sarin herzustellen und einzusetzen. "Prinzipiell ist es also schon möglich, solche Programme auch außerhalb staatlicher Kontrolle zu fahren."
Politische Unterstützung unumgänglich
Zunächst aber steht die Sicherung und Vernichtung des bestehenden Arsenals an. Das setze freilich voraus, dass die Inspektoren und Techniker hinreichend geschützt seien. Das bedinge wiederum eine ausreichende politische Unterstützung, so Trapp. Ob diese über Jahre geleistet werden könne, sei aber offen. "Ich selbst habe zumindest Zweifel. Ohne diese Unterstützung würde es aber nicht gehen. Oder es würde schief gehen."