Institute: Deutschland in der Rezession
28. September 2023Hohe Inflation, maue Weltwirtschaft, steigende Zinsen: Angesichts des schwierigen Umfelds haben die fünf führenden Wirtschaftsforschungsinstitute in Deutschland ihre Konjunkturprognosen deutlich abgesenkt.
Noch im Frühling erwarteten sie für das Gesamtjahr ein leichtes Wachstum des Bruttoinlandsprodukts von 0,3 Prozent. Jetzt gehen sie davon aus, dass die Wirtschaftsleistung um 0,6 Prozent schrumpft.
Das geht aus der Gemeinschaftsdiagnose hervor, die die Forschungsinstitute im Auftrag der Bundesregierung erstellt und am Donnerstag veröffentlicht haben. Zuvor hatten einzelne Institute ihre jeweiligen Prognosen schon gesenkt.
Privater Konsum und Industrie belasten
"Der wichtigste Grund dafür ist, dass sich die Industrie und der private Konsum langsamer erholen, als wir im Frühjahr erwartet haben", erklärte der Vizepräsident des Instituts für Wirtschaftsforschung Halle (IWH), Oliver Holtemöller.
Für 2024 wird wieder ein Wachstum erwartet, das mit 1,3 Prozent aber schwächer ausfallen soll als im Frühjahr mit 1,5 Prozent angenommen. 2025 soll es dann zu einem Plus von 1,5 Prozent reichen.
Die Gemeinschaftsdiagnose dient der Regierung als Basis für ihre eigenen Projektionen, die wiederum die Grundlage für die Steuerschätzung bilden.
"Die konjunkturelle Schwäche ist mittlerweile auf dem Arbeitsmarkt angekommen", schreiben die Institute darin. Angesichts der "notorischen und sich perspektivisch weiter verschärfenden Personalknappheit in vielen Bereichen" erwarten sie allerdings nur einen "moderaten Anstieg" auf 2,6 Millionen Arbeitslose im laufenden Jahr - das wären etwa 174.000 mehr als 2022.
"Im kommenden Jahr wird die Zahl der Arbeitslosen wohl leicht sinken", so die Prognose. 2025 soll sie dann weiter zurückgehen auf weniger als 2,5 Millionen.
Inflation soll deutlich sinken
Für die Verbraucher halten die Institute eine gute Nachricht parat. "An der Preisfront entspannt sich die Lage nach und nach", heißt es in der Gemeinschaftsdiagnose, die den Titel "Kaufkraft kehrt zurück – Politische Unsicherheit hoch" trägt.
Die Inflationsrate dürfte demnach im laufenden Jahr bei 6,1 Prozent liegen, 2024 aber deutlich auf 2,6 Prozent fallen und 2025 dann noch einmal auf 1,9 Prozent.
"Mittlerweile haben die Löhne auf die Teuerung reagiert, so dass die Kaufkraft der Beschäftigten wieder steigen wird", sagen die Ökonominnen und Ökonomen voraus. "Dies stabilisiert den privaten Konsum."
Schwierige Zeiten sagen die Konjunkturforscher der Baubranche vorher. "Das Baugewerbe kommt zunehmend in schweres Fahrwasser." Wegen gestiegener Finanzierungskosten dürften etwa die Wohnungsbauinvestitionen "bis in das nächste Jahr hinein wohl deutlich zurückgehen".
Auch die Exporte werden nach Ansicht der Forscher zurückgehen. "Die konjunkturelle Flaute in wichtigen Absatzmärkten wie dem Euroraum und China, von denen vor allem weniger Konsum- und Vorleistungsgüter nachgefragt werden, bremst die Exporte", betonten die Institute.
"Darüber hinaus belasten auch die hohen Energiekosten, insbesondere in der Chemischen Industrie, sowie der zunehmende Fachkräftemangel die deutschen Exportunternehmen." Deshalb sollen die Ausfuhren im laufenden Jahr preisbereinigt um 1,0 Prozent sinken, 2024 dann um 1,8 Prozent wachsen.
Warnung vor extremen Positionen
Die Forscher warnen zudem vor den ökonomischen Folgen eines veränderten politischen Klimas im Land. "Derzeit gerät etwas in Gefahr, das bis vor kurzem in Deutschland als selbstverständlich galt", sagte Holtemöller vom IWH, "nämlich ein gesellschaftliches Klima, welches Haushalten und Unternehmen das Vertrauen gibt, dass die Grundregeln unserer Gesellschaft allgemein akzeptiert werden, und dass diese Grundregeln deshalb auch in Zukunft Bestand haben."
Darunter würden Selbstverständlichkeiten wie der Respekt vor allen Mitmenschen und vor dem Eigentum sowie der Handlungsfreiheit anderer fallen.
"Seit einiger Zeit gewinnt extremes Gedankengut an Boden, welches diese Selbstverständlichkeiten infrage stellt", so Holtemöller. "Mögen die unmittelbaren Konjunkturrisiken dieser Tendenz auch begrenzt sein, so gehen von ihr doch erhebliche Risiken für die langfristigen Wachstums- und Wohlstandsaussichten aus", warnte Holtemöller etwa mit Blick auf migrationsfeindliche Einstellungen. Deutschland sei wegen der abnehmenden Erwerbsbevölkerung auf Einwanderung angewiesen.
Erstellt wird die Gemeinschaftsdiagnose vom RWI in Essen, vom Ifo-Institut in München, vom Kieler IfW, vom IWH in Halle und vom Berliner DIW, das nach dem Umbau der hauseigenen Konjunkturforschung wieder mit dabei ist.
bea/hb (rtr, afp)