Integration am Stammtisch
4. November 2015In den Hügeln ganz im Osten des Freistaats Thüringen liegt Altenburg. Mitten in der Altstadt der ehemaligen Kaiserresidenz organisiert eine sehr besondere Gruppe jeden Dienstag das "WeltCafé". Für acht Stunden arbeiten dann Asylbewerber Hand in Hand mit deutschen Ehrenamtlern.
In erster Linie gehe es darum, sich kennenzulernen, Hemmungen zu überwinden und die Neuankömmlinge langfristig zu integrieren, sagt Initiatorin Christine Büring, Governor des Altenburger Rotary Clubs: "Das ist für die Deutschen genau so wichtig, wie für die Flüchtlinge."
Eine "normale" Umgebung will Büring den täglich neu eintreffenden Asylbewerbern anbieten. Einen Ort, an dem sie sich mit anderen Flüchtlingen austauschen können, aber eben auch mit Deutschen. Damit sie Gelegenheit bekommen sich zu integrieren und ihre Deutschkenntnisse zu verbessern.
Aber auch die Altenburger könnten bei dem Projekt eine Menge lernen, meint Büring, indem sie mit den Flüchtlingen über deren Erlebnisse reden und die Neubürger in ihre Gemeinschaft aufnehmen: "In der deutschen Kultur ist es nicht selbstverständlich, einfach auf jemanden zuzugehen und ihn kennenzulernen. Aber genau darum geht es hier im Café."
Seit Anfang Oktober läuft das Projekt, und es habe sich gezeigt, dass nicht nur die Deutschen in Sachen Weltoffenheit noch dazulernen können: "Einige der Eritreer wollten zum Beispiel am Anfang nicht mit den Afghanen sprechen", erzählt Büring. Auf der anderen Seite entwickelten sich bereits erste Freundschaften.
In einer der hinteren Ecken des Cafés sitzt eine Gruppe Frauen. Sie kommen aus Deutschland, Eritrea und dem Sudan. Ihre Kinder spielen friedlich miteinander, teilen ihre Spielzeuge und treiben - ganz unbewusst - die langfristige Integration der Flüchtlinge in Deutschland voran.
Ein Ort der Freiheit für Frauen
Für Büring spielt es eine besondere Rolle, dass auch Frauen im WeltCafé dabei sind. Sie plane sogar einen Morgentermin nur für sie: "Ich glaube, dass das WeltCafé ein geeigneter Ort für muslimische Frauen ist, allein unterwegs zu sein. Das gäbe ihnen die Freiheit ohne ihre Männer Kontakte zu knüpfen." Bisher kämen die meisten allerdings zunächst in Begleitung ihrer Familien.
Eine der weiblichen Flüchtlinge ist die 27-jährige Sebel Girma. Sie ist mit ihrem 35-jährigen Mann Alx Gesiaw aus Eritrea geflohen. Im Unterschied zu den anderen Müttern hat sie ihre Kinder nicht mitgebracht. Ihre beiden Töchter - elf und drei Jahre alt - sind bei ihrem Bruder im Sudan geblieben. "Die Reise war zu gefährlich", erklärt sie. "Erst wollen wir uns ein neues Leben aufbauen und dann, wenn es möglich ist, die Kinder nachholen."
Girma träumt davon, in Deutschland Frisörin zu werden. Ihr Mann will wie früher als Elektriker arbeiten. "Zurzeit ist allerdings die Sprache noch ein Problem", sagt Alx Gesiaw. Hier im Café will er seine Sprachkenntnisse verbessern und damit auch seine Aussichten auf einen Job.
Auch die Macher des WeltCafés hoffen, dass sie Menschen wie Sebel Girma und Alx Gesiaw die Chance eröffnen, sich mit Bewohnern und Arbeitgebern aus Altenburg zu vernetzen. Dabei helfen soll auch das Schwarze Brett, an das viele Flüchtlinge Zettel mit ihrem Wunsch nach Praktikums- oder Arbeitsplätzen als Putzhilfe oder Automechaniker gehängt haben.
Der Wunsch etwas zurückzugeben
Das WeltCafé erhält kleine Zuschüsse aus Steuergeldern für Nebenkosten wie Wasser und Heizung. Alle Mitarbeiter arbeiten ehrenamtlich. Einer von ihnen ist der 19-jährige Samim Khan aus Afghanistan. In bemerkenswert gutem Deutsch erzählt er, dass er vor 14 Monaten mit seinem Zwillingsbruder in Deutschland angekommen sei: "Ich hatte Glück und habe gleich zu Anfang eine Menge Freunde gefunden. Das möchte ich nun hier als Kellner an andere weitergeben."
Aber nicht alle seine Erfahrungen mit Deutschen seien positiv gewesen. "Manche Menschen hier in Thüringen wollen uns offenbar nicht kennenlernen", sagt er. "Manchmal glaube ich, sie hassen uns. Warum, weiß ich nicht."
Dieses Bild des ausländerfeindlichen Thüringens hofft der 44-jährige Ehrenamtler Ingo Prehl zu ändern: "Was wir hier tun, kann das Image von Thüringen eigentlich nur verbessern", sagt er. "Mit unserer Arbeit im WeltCafé wollen wir die Menschen zu mehr Aufgeschlossenheit ermutigen."
800 Flüchtlinge sind bisher in Altenburg eingetroffen, bis Jahresende werden es schätzungsweise 1200 sein. Seit dem Fall der Berliner Mauer ist die Bevölkerung in Altenburg von 55.000 auf 33.000 gefallen. "Die Zahl der Flüchtlinge hier ist also gar nicht so hoch", sagt Rotary-Governor Büring. Aber dennoch könne es keine Über-Nacht-Integration geben, wie einige sich das wünschten. "Integration braucht Zeit. Und vor allem Vertrauen", sagt sie. Und das soll im WeltCafé aufgebaut werden.