Integration, auch politisch!
6. Dezember 2012Cem Özdemir, Bundesvorsitzender der Grünen, oder die ehemalige SPD-Bundestagsabgeordnete Lale Akgün kennen in Deutschland viele. Die beiden gehören zu den ersten Politikern mit ausländischen Wurzeln, die sich in Deutschland einen Namen auch außerhalb der engen Grenzen ihrer Herkunfts-Gemeinschaft gemacht haben. Ihre Ausnahmestellung haben sie aber längst verloren. Die Zahl der Politiker mit Migrationshintergrund wächst in den letzten Jahren in Deutschland kontinuierlich - dieser Trend bestätigte sich nun auch beim Parteitag der Christlich-Demokratischen Union (CDU) in Hannover.
Drei Politikerinnen mit türkischem Migrationshintergrund hielten Einzug in die höchsten Gremien der Partei - so viele wie nie zuvor in der Geschichte der CDU. Die Parteitags-Delegierten wählten Emine Demirbüken-Wegner, Landespolitikerin in Berlin, als erste Frau mit Migrationshintergrund in das einflussreichste Organ der Partei, das Präsidium. Außerdem sind nun zwei weitere Politikerinnen mit türkischen Wurzeln Mitglieder des CDU-Bundesvorstandes - Aygül Özkan, Sozialministerin in Niedersachsen und Serap Güler, Abgeordnete im Nordrhein-Westfälischen Landtag.
Ein Zeichen der Integration
Diese Entwicklung ist umso bemerkenswerter, da die CDU eine Partei ist, der Wähler mit Migrationshintergrund eher skeptisch gegenüberstehen. 2009 führte das Berliner Marktforschungsunternehmen "Data 4 U" eine Umfrage unter knapp 3000 türkischstämmigen Bürgern durch - ein Drittel davon hatten einen deutschen Pass, waren also tatsächlich wahlberechtigt. Nur 10 Prozent der Befragten hätten sich bei einer Bundestagswahl für die Christdemokraten entscheiden - eine große Mehrheit dagegen hätte den Sozialdemokraten (über 55 Prozent) oder den Grünen (23 Prozent) ihre Stimme geben.
Solche Zahlen seien für die Union alarmierend, sagt Politikwissenschaftler Gerd Langguth von der Uni Bonn, einst selbst Bundestagsabgeordneter der CDU. Die Wahl der drei türkischstämmigen Politikerinnen in die Spitzengremien wertet er als ein Zeichen des Wandels in der Partei: "Frau Merkel will diese Veränderung. Und ich denke, dass diese Veränderung keine Eintagsfliege ist." Dahinter verberge sich zweifellos eine Wahlkampfstrategie, sagt Langguth, aber auch mehr als das: "Es ist natürlich eine grundsätzliche Frage, da wir einige Millionen türkischstämmige Bürger in Deutschland haben, die auch in das Parteiensystem der Bundesrepublik Deutschlands integriert werden müssen. Da hat die CDU bisher ein großes Problem, weil sie als die Partei gilt, die am ehesten einen Betritt der Türkei zur Europäischen Union als problematisch ansieht." Man wolle, so der Bonner Politologe, mit den Migranten in der Parteispitze ein Zeichen für die Integration setzen. Aber der individuelle Erfolg von Migranten in einer Partie hänge natürlich auch von ihrem Engagement innerhalb der Organisation ab - man müsse sich oft zu Wort melden, so Langguth.
Nicht nur "Migrantenthemen"
Die junge CDU-Politikerin Serap Güler meldet sich schon jetzt zu Wort - sie lobt die Integrationspolitik ihrer Partei und verweist auf die Einrichtung des Ressorts "Integration" in Nordrhein-Westfalen. Das geschah nämlich 2005, als die Christdemokraten dort die Regierung stellten. Und auch die Initiative für die Islamkonferenz als Forum des Dialogs zwischen Muslimen und Christen in Deutschland sei von der CDU ausgegangen. Güler selbst will sich mit "brennenden Themen" befassen - wie etwa der Einführung einer doppelten Staatsbürgerschaft für Migranten, die einen deutschen Pass haben wollen, ohne ihren alten abgeben zu müssen: "Das ist ein Prozess, dem wir uns widmen müssen, was sicherlich noch viel Zeit in Anspruch nehmen wird. Ich bin aber sehr zuversichtlich, dass die CDU hierfür eine Lösung finden wird", sagt sie.
Emine Demirbüken-Wegner ergänzt, dass auch andere Themen nicht vernachlässigt werden dürfen, die Menschen mit Migrationshintergrund bewegen: "Wenn wir uns nicht mit den wichtigen Problemen wie Arbeitslosigkeit oder Bildung auseinandersetzen, werden die Leute denken, dass die Partei sie in Wirklichkeit gar nicht will", ist sie überzeugt.
Doppelte Staatsbürgerschaft, Integration, Migration oder EU-Beitritt der Türkei - die türkischstämmigen Politiker sind in der CDU bisher meistens Ansprechpartner für die Themen, die mit Migranten zu tun oder einen Türkei-Bezug haben. Doch das sei nicht der richtige Weg der politischen Integration, meint Politologe Langguth: "Ich würde den Migranten, die in die Parteien eintreten, empfehlen, nicht nur die Migrationspolitik zum Gegenstand ihrer Bemühungen zu machen. Sie sollten sich auch an anderen politischen Diskussionen beteiligen." Dazu gehörten beispielsweise Themen wie Rentenpolitik oder die Problematik des Bundeswehreinsatzes im Ausland. Denn, so Langguth - erst das würde die Normalität des Integrationsprozesses bestätigen.