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Kultur trotz Krise

Medana Weident6. Juni 2012

Deutschsprachige Theateraufführungen mitten in Rumänien: das ist in Sibiu eine Selbstverständlichkeit. Hier wird auch eines der renommiertesten Theaterfestivals Europas organisiert.

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Szene aus dem Stück "Prinz Friedrich von Homburg" von Heinrich von Kleist beim Theaterfestival in Sibiu (Foto: TNRS)
Eine Szene aus dem Stück "Prinz Friedrich von Homburg" beim Theaterfestival in SibiuBild: Bettina Stöß

"Krisen - Die Kultur macht den Unterschied" ist das Motto des diesjährigen Internationalen Theaterfestivals, das bis zum 3. Juni über 2500 Künstler aus 70 Ländern nach Sibiu gebracht hat. Gezeigt wurden hochkarätige Stücke aus der ganzen Welt - und das deutschsprachige Theater gehörte zu den Schwerpunkten des Kulturevents. Die ehemalige Europäische Kulturhauptstadt Sibiu wurde im Mittelalter von deutschen Siedlern gegründet. Der deutsche Name "Hermannstadt" ist auch heute noch auf allen Ortsschildern neben dem rumänischen zu lesen.

Zu den prominentesten deutschsprachigen Teilnehmern des Theaterfestivals gehören das Berliner Maxim Gorki Theater mit der Kleist-Inszenierung "Prinz Friedrich von Homburg" von Armin Petras, das Theater TAG aus Wien mit dem "Prozess" nach Franz Kafka in der Regie von Gernot Plass und das Schauspielhaus Graz mit "Werther" nach Johann Wolfgang von Goethe, inszeniert von Bastian Kraft.

Der erfolgreiche deutsche Regisseur Peter Stein beeindruckte das Publikum des Festivals mit seiner "Faust Fantasia", in der er auch seine hervorragende Schauspielkunst unter Beweis stellt. Die Musik dazu stammt aus der Feder des Komponisten Arturo Annecchino, mit dem Stein auch bei seiner etwa 20-stündigen Faust-Inszenierung für die Expo 2000 in Hannover zusammengearbeitet hat.

Der deutsche Regisseur Peter Stein und der aus Rumänien stammende Theaterprofessor an der Sorbonne, George Banu (Foto: Medana Weident/DW)
Der deutsche Regisseur Peter Stein und der rumänische Theaterkritiker George BanuBild: Weident / DW

Im DW-Interview erwähnt Peter Stein seine Begeisterung für Hermannstadt, "diese deutsche Gründung, mit der wunderbar erhaltenen Altstadt, die nicht durch Bomben zerstört wurde". Er habe die Hoffnung, "dass genügend Gelder, auch von der EU, zur Verfügung gestellt werden können, um dieses Gut zu erhalten". Gerade in Krisenzeiten solle man Kunst und Kultur nicht vernachlässigen - denn sie sei ein "wichtiger Brückenbauer" zwischen den Menschen.

Deutsches Theater mit langjähriger Tradition

"Die vielen deutschsprachigen Theaterstücke im Programm des Festivals kommen auch der deutschen Minderheit in Hermannstadt und Umgebung zugute", meint Beatrice Ungar, Chefredakteurin der Hermannstädter Zeitung. Die deutschsprachige Zeitung erscheint wöchentlich und hat eine Auflage von 2000 Exemplaren. Davon geht ungefähr die Hälfte per Abo nach Deutschland.

Im Laufe der Jahre sind über das Festival auch wichtige Kontakte zwischen der deutschen Abteilung des Hermannstädter Nationaltheaters "Radu Stanca" und verschiedenen deutschen Bühnen zustande gekommen - zum Beispiel eine Theaterpartnerschaft mit dem Theater in Oberhausen (Ruhrgebiet).

Das deutsche Theater in Hermannstadt ist stolz auf seine langjährige Tradition. "Es wurde vor rund 450 Jahren gegründet", erzählt Anna Neamtu, Leiterin der Deutschen Abteilung. "Schon damals pflegte es einen regen Austausch mit den deutschsprachigen Bühnen Europas, etwa in Berlin oder Wien". Nach dem Zweiten Weltkrieg musste es seine Arbeit zwischenzeitlich unterbrechen, erst 1956 wurden hier wieder Stücke in deutscher Sprache inszeniert. "Schwierig wurde es nach dem Exodus der Rumänien-Deutschen nach 1989. In den letzten Jahren hat sich die Situation aber wesentlich gebessert", so Anna Neamtu. Zurzeit gibt es sechs neue Produktionen pro Spielzeit. Das Schauspieler-Team ist gewachsen, auch dadurch, dass von den zehn Studienplätzen für Schauspiel an der Hermannstädter Universität zwei für den deutschsprachigen Schauspielunterricht reserviert sind. Auch einige Schauspieler aus dem Ausland, etwa aus Deutschland, Österreich, der Schweiz und Luxemburg tragen zum Erfolg des deutschsprachigen Theaters in Hermannstadt bei. Die Aufführungen richten sich nicht nur an Deutschsprachige: Mit Hilfe von Übertiteln werden sie ins Rumänische übersetzt, so dass sie auch das Interesse der rumänischen Zuschauer wecken.

Constantin Chiriac, der Leiter des Nationaltheater Sibiu und des Internationalen Theaterfestivals Sibiu (Foto: TNRS)
Constantin Chiriac: "Mehr in Kultur investieren"Bild: Nationaltheater Hermannstadt

Deutschkenntnisse für bessere Berufschancen

Laut der jüngsten Volkszählung leben in Hermannstadt heute nur noch 1400 Angehörige der deutschen Minderheit bei einer Gesamtbevölkerung von 150.000 Einwohnern, in ganz Rumänien sind es um die 35.000. Doch die Zahl der Menschen, die Deutsch sprechen, ist um ein Vielfaches höher. "Das Interesse für die deutsche Sprache ist groß", erklärt Beatrice Ungar. "3000 Schüler nehmen im Kreis Hermannstadt deutschsprachigen Unterricht - vor allem, weil sie mit sehr guten Deutschkenntnissen bessere Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben." Die deutschen Schulen wurden einst von Angehörigen der deutschen Minderheit gegründet - heute sind sie bei rumänischen Eltern und Kindern sehr beliebt.

Wie wichtig die Kultur gerade in Krisenzeiten ist, betonte auch der Leiter des Theaterfestivals, Constantin Chiriac, im DW-Interview. Hermannstadt profitiere enorm von dem jährlichen Internationalen Theaterfestival, wobei die positiven Impulse durch den Titel "Europäischen Kulturhauptstadt 2007" auch eine bedeutende Rolle für die heutige Entwicklung der Stadt gespielt hätten. "Man müsste auch auf europäischer Ebene mehr in Kultur investieren", so Chiriac.

Ansicht von Sibiu (Hermannstadt) in Rumänien (Foto: GPL)
Multikulturelle Stadt in Siebenbürgen: Hermannstadt

Außer Theater- und Tanzvorstellungen bot das diesjährige Internationale Theaterfestival in Hermannstadt zahlreiche Straßenperformances, Filmvorführungen, Buchbesprechungen, Konferenzen und Seminare, szenische Lesungen und Diskussionen über hochbrisante politische Themen. Eines davon greift die auch in Deutschland bekannte junge rumänische Dramatikerin und Regisseurin Gianina Carbunariu (sie inszenierte unter anderem das Stück "Sold out" an den Münchener Kammerspielen) auf: die Debatte über die Akten des ehemaligen rumänischen Geheimdienstes Securitate und inwieweit sie dabei helfen können, die Vergangenheit besser zu verstehen. Vom international brisanten Thema der Vergangenheitsbewältigung handelt auch ihr neues Stück.

Der britische Professor für Performing Arts an der Leeds Metropolitan University, Noel Witts, bringt jedes Jahr eine Gruppe Doktoranden nach Hermannstadt. Seinen Studenten erzählt er, dass sie in einer Woche hier mehr Theaterarbeit erfahren könnten als in drei Jahren in London: "Wenn man wissen will, was in Berlin oder Taiwan passiert, muss man nach Hermannstadt kommen."