"Gewalt ist nicht religiös motiviert"
12. Juni 2012Deutsche Welle: Herr Kaigama, nach den Anschlägen auf mehrere Kirchen haben christliche Mobs mindestens fünf muslimische Jugendliche getötet. Was ist ihre Reaktion auf diese brutalen Vergeltungsschläge Ihrer Mitchristen?
Ignatius Kaigama: Mich stört die Verwendung des Begriffs "Christen" in diesem Zusammenhang. Es geht in diesem Konflikt nicht um Christen, die muslimische Jugendliche umbringen. Wir reden über Randalierer, die Selbstjustiz üben. Es ist ungünstig, solche Menschen in erster Linie als Christen oder Muslime zu begreifen. Es handelt sich schlicht und ergreifend um Jugendliche, die so wütend und unvernünftig geworden sind, dass sie anfangen, Menschen zu attackieren. Es ist absolut nicht die christliche Kirche, die ihnen hierfür die Legitimität gibt. Ihre Gewalt ist möglicherweise ethnisch oder politisch begründet. Aber ganz bestimmt nicht christlich. Es ist eine vorschnelle Generalisierung, die Angriffe in Nigeria auf eine christliche oder muslimische Motivation zu reduzieren.
Aber müssen die Kirchengemeinden nicht sicherstellen, dass die Gewalt eingedämmt wird?
Es geht um den Dialog und darum, die Ursprünge des Problems unter die Lupe zu nehmen. Hier müssen die säkularen Autoritäten auf jeden Fall mit eingebunden werden und dafür sorgen, dass die Jugendlichen wieder auf den richtigen Weg gebracht werden. Also traditionelle Herrscher, der jeweilige Stadtrat und die Vorsteher von Dorfgemeinden. Wir als religiöse Führer können die Menschen nur dazu ermutigen, Gewalt zu vermeiden. Wir predigen Liebe und Verständnis. Mehr können wir nicht machen.
Welchen Einfluss hat die Gewalt auf die Religionsausübung in Nigeria? Haben die Menschen zum Teil inzwischen so viel Angst, dass sie sich nicht mehr trauen, in die Kirche zu gehen?
Ja, die Menschen machen sich auf jeden Fall Sorgen. Viele Eltern lassen ihre Kinder nicht mehr in die Kirche gehen, weil sie Angst vor Anschlägen haben. Selbst Erwachsene gehen oft nicht mehr in den Gottesdienst. Aber ich möchte die christliche Gemeinschaft loben: Wir begreifen das, was passiert, nicht als einen Krieg gegen uns Christen. Wir begreifen es als einen Krieg, der von einer terroristischen Vereinigung ausgeht, die die christliche Religion nicht wertschätzen. Muslime sind nicht per se anti-christlich eingestellt.
Sie sprechen von der Gruppe Boko Haram.
Das sind diejenigen, die für die Kämpfe und die Morde verantwortlich sind. Wir sollten deshalb klar unterscheiden: Es ist kein Krieg zwischen Muslimen und Christen. Es ist ein Krieg der muslimischen Terrororganisation Boko Haram, die die Kirche bekämpfen will, weil sie glaubt, dass die Kirche ein Symbol westlicher Zivilisation ist. Man darf nicht vergessen, dass Boko Haram auch Anschläge auf die Polizei, die Vereinten Nationen, Medienvertreter und Märkte verübt hat. Wir müssen es also im richtigen Zusammenhang betrachten. Aber natürlich haben wir Angst, dass sie weiterhin für Schmerz und Verwüstung sorgen, wenn die säkularen Autoritäten und die Sicherheitsbehörden keine drastischen Maßnahmen ergreifen. Das muss aufhören. Und ich bin sicher, dass die Regierung und die Sicherheitsbehörden die Mittel und Möglichkeiten haben, diese kriminelle Vereinigung zu stoppen.
Ignatius Kaigama ist der Vorsitzende der Bischofskonferenz in Nigeria. Gleichzeitig ist er Erzbischof von Jos, einer Stadt im Bundesstaat Plateau, in der es in den letzten Jahren immer wieder zu Zusammenstößen zwischen Christen und Muslimen kam.