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PolitikAsien

Iran, die "Proud Boys" und die US-Präsidentenwahl 

23. Oktober 2020

Die USA beschuldigen den Iran, er habe versucht, mit gefälschten Mails Einfluss auf die US-Wahlen zu nehmen. In Teheran bestreitet man die Vorwürfe. Tatsächlich könnten die Mails von unterschiedlichen Gruppen kommen.

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Fahnen von USA und Iran
Bild: Ohde/ Bildagentur-online/picture-alliance

"Dreiste Versuche" der Wahlbeeinflussung hätten sie unternommen, so begründete das US-Finanzministerium seine Entscheidung vom Donnerstag dieser Woche, über fünf staatsnahe iranische Organisationen Sanktionen zu verhängen. Diese hätten versucht, vor den Präsidentschaftswahlen Anfang November "Desinformation und Spaltung" in die amerikanische Gesellschaft zu tragen. 

Betroffen sind sowohl die große und mächtige Islamische Revolutionsgarden (IRGC), die bereits zuvor schon unter anderen US-Sanktionen stand, sowie im Vergleich dazu kleinere und kaum bekannte Einheiten wie die "Islamische Radio- und Fernsehunion" sowie die "Internationale Union der virtuellen Medien." 

Diese Gruppen, so das Finanzministerium, hätten daran gearbeitet, "Zwietracht in der Wahlbevölkerung zu säen, indem sie Desinformation online verbreiteten und Operationen mit bösartigem Einfluss durchführten, um die US-Wähler irrezuführen". Auch Russland wurde der Einmischung in die US-Wahlen Einmischung in die US-Wahlen beschuldigt. 

Der Iran bestreitet die Vorwürfe. Ein Sprecher des Außenministeriums sprach von Erfindungen und ungeschickten Anschuldigungen. Iran bevorzuge bei der Präsidentschaftswahl keinen Kandidaten.

"An Ihrer Stelle würde ich das ernst nehmen"

Klar ist: Anfang der Woche erhielten mehrere tausend US-Bürger eine irritierende Mail. Sie seien im Besitz sämtlicher Informationen über die Angeschriebenen, teilten die Absender ihnen mit. "Sie sind derzeit als Demokrat registriert und wir wissen dies, weil wir Zugang zur gesamten Infrastruktur der Wahlen erhalten haben. Entweder werden Sie am Wahltag für Trump stimmen - oder wir werden bei Ihnen vorbeischauen." 

Die Absender hatten weitere Forderungen: Die Angeschriebenen sollten der Republikanischen Partei beitreten, um so zu beweisen, dass sie die Nachricht erhalten hätten. "An Ihrer Stelle würde ich das ernst nehmen." Die Mails, so schien es, waren im Namen der rechtsextremen Gruppierung "Proud Boys" abgeschickt worden. Folgten die User zudem einem der Mail angehängten Link, landeten sie auf einer Seite, die andeutete, bei der anstehenden Wahl werde in großem Stil betrogen. 

USA Wahllokal in Maryland
Ein Ziel der E-Mails ist offenbar das Vertrauen in das amerikanische Wahlsystem zu unterminierenBild: picture-alliance/dpa/M. Cavanaugh

Einige Adressaten leiteten die Mails umgehend an die Sicherheitsbehörden weiter. Die fanden heraus, dass die Mails nicht von den "Proud Boys", sondern von einem Server in Estland verschickt worden waren. Wer genau sich hinter dem Absender verbirgt, ist bislang unbekannt. Klar ist allerdings, dass es keines größeren technischen Geschicks bedarf, in den Besitz der Adressatenlisten zu kommen: Diese waren überwiegend frei zugänglich.

"Gespür für den menschlichen Faktor"

Die US-Geheimdienste gehen davon aus, dass ausländische Staaten auch dieses Jahr Einfluss auf die US-Präsidentschaftswahlen zu nehmen versuchen. Sowohl Russland als auch der Iran hätten sich in den Besitz von Namenslisten amerikanischer Wähler gebracht, hatten führende Mitarbeiter der US-Geheimdienste einem Bericht der "New York Times" zufolge bereits am Mittwoch dieser Woche erklärt. Für die Drohmails aus Estland machten demnach John Ratcliff, der Direktor der Intelligence Community, des Zusammenschlusses der amerikanischen Geheimdienste, und FBI-Direktor Christopher A. Wray in einer gemeinsamen Erklärung den Iran verantwortlich. 

Tatsächliche spreche viel für eine iranische Urheberschaft, sagt der Informatiker und Aktivist Amir Rachid von der "International Campaign for Human Rights in Iran" im DW-Gespräch. Die technische Machart der E-Mails sei vergleichsweise einfach, so Rachid. Dies lasse eine iranische Urheberschaft vermuten: Entsprechende Kampagnen des Iran seien in technischer Hinsicht bislang nie sonderlich ausgereift gewesen. "Umso größer ist allerdings das Gespür für den menschlichen Faktor, mit der die Verantwortlichen zu Werke gingen", sagt Rachid. "Sie kennen die soziale und politische Situation vor Ort sehr genau und wissen sehr genau, wen sie auf welche Weise ansprechen, um maximale Wirkung zu erzeugen. Das entspricht sehr genau der bisherigen Arbeit von Cyber-Agenten aus dem Iran." Ähnlich sieht es ein weiterer, auf Anonymität bestehender Computerwissenschaftler im DW-Gespräch (Name der Redaktion bekannt). "Ich schließe nicht aus, dass Iraner, Russen oder andere Interessengruppen Zugang zu bestimmten Wählerdaten erhalten haben. Mit einem gewissen Grad an Programmierkenntnissen kann man auf solche Daten zugreifen."

Doppelte Zielrichtung

Die Zielrichtung der E-Mails ist offenbar eine doppelte. Zum einen sollten sie das Vertrauen in das amerikanische Wahlsystem unterminieren. Wer glaubt, die Anonymität der Wähler sei beim Urnengang nicht mehr garantiert, könnte sich überlegen, ob er nicht besser darauf verzichtet, seine Stimme anzugeben. "Auf Grundlage unserer Informationen habe ich den starken Eindruck, (die Mail-Aktion) zielte mehr darauf, das Vertrauen in die Wahlen zu untergraben, als eine Rolle für einen der beiden Kandidaten zu spielen", erklärte etwa Charles "Chuck" Schumer, der Fraktionsführer der Demokraten im US-Senat.

USA Ohio US-Präsident Donald Trump
Die Wähler sollten dazu bewegt werden, für Trump zu stimmenBild: Reuters/J. Ernst

Das zweite Ziel der Mails ist offenbar die Manipulation der Wähler. Sie sollten dazu bewegt werden, für Trump zu stimmen. Das ist gründlich misslungen. Aber der politische Wille dahinter sei offensichtlich, sagt vermutet Amir Rachid. "Die Hardliner innerhalb des iranischen Regimes würden von einem Wahlsieg Trumps durchaus profitieren. Die harte Abgrenzung seitens der USA käme ihnen und dem von ihnen angestrebten Lagerdenken der iranischen Gesellschaft zugute."

Insbesondere sie, die Hardliner, hätten sich von der Trump-Administration völlig abgewendet, sagt Rachid. Auch Biden, der Iran gegenüber einen weniger harten Kurs verfolgt, sei für sie letztlich keine interessante Option. "Die harten Konservativen in Teheran orientieren sie sich politisch und ökonomisch längst in eine ganz andere Richtung, nämlich nach Russland und China . Das sind für sie die wichtigen Zukunftspartner", so Rachid.

Eine andere Vermutung hat der zweite Computerwissenschaftler, der seinen Namen nicht öffentlich genannt werden will. "Die Trump-Regierung hat durch ihre Sanktionen der letzten zwei Jahren enormen Druck auf die iranische Wirtschaft ausgeübt. Ich persönlich kann mir nicht vorstellen, dass das iranische Regime Interesse daran hat, dass Trump für weitere vier Jahre Chef im Weißen Haus bleibt." Denkbar sei hingegen, dass iranische Oppositionelle inner- oder außerhalb des Irans Interesse daran hätten, dass Trump vier weitere Jahre im Amt bleibe. "Sie hoffen, dass der Druck auf die Regierung in Teheran noch größer wird. Es ist nicht auszuschließen, dass Personen, die mit dieser Minderheit verbunden sind, die Mails verschickt haben." Der gestiegene Druck, so das dahinter stehende Kalkül, könnte weiteren Protest gegen das Regime entfachen.

Die am Donnerstag über iranische Organisationen verhängten Sanktionen dürften die Entscheidungen der Teheraner nicht sonderlich beeinflussen, mutmaßt der Experte gegenüber der DW. "Wir wissen das, weil auch die Sanktionen der letzten Jahrzehnte nicht viel bewirkt haben."

DW Kommentarbild | Autor Kersten Knipp
Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika