Iran und Israel - Die konstruierte Feindschaft
26. Juni 2013Israel sei "ein Krebsgeschwür, das man entfernen müsse", drohte unlängst Ali Chamenei, oberster geistlicher Führer des Iran. Jeder, der sich im Kampf mit dem "zionistischen Regime" befinde, könnte auf die Untrestützung seines Landes zählen, so Chamenei, der auch der Oberbefehlshaber der iranischen Streitkräfte ist.
Auf der anderen Seite wiederholt der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu seine Warnung wie ein Mantra: Der Iran dürfe nicht weiter an der Bombe basteln - denn ein atomar bewaffneter Iran sei eine existenzielle Bedrohung für den Staat Israel. "Ich werde mein Volk nicht im Schatten einer drohenden Auslöschung leben lassen." Zur Not müsse man sich mit einem Präventivschlag verteidigen, so Netanjahu.
Vom Verbündeten zum Feind
Doch warum stehen sich die beiden Nationen so unerbittlich gegenüber? Schließlich waren die Beziehungen bis in die 70er Jahre hinein sehr gut. Man arbeitete wirtschaftlich, diplomatisch und sogar militärisch zusammen.
Gad Jair arbeitet gerade mit einem iranischen Kollegen an einer soziologischen Studie zu dem Thema. Kennen gelernt haben sich die beiden Akademiker auf einer Tagung im europäischen Ausland, wo auch die Idee zu der Studie kam. Die noch unveröffentlichte Arbeit trägt den Titel "Vom kulturellen Trauma zum Atomkrieg – Erklärungen zum iranisch-israelischen Konflikt". Die Studie wird allerdings ohne den Namen des iranischen Soziologen erscheinen, weil dieser ansonsten Repressionen ausgesetzt sein könnte.
Die beiden Soziologen sind jedenfalls zu dem Schluss gekommen, dass beide Nationen unter einem kulturellen Trauma leiden, das aus der jeweils eigenen Geschichte entstanden ist, das aber mit dem jeweiligen vermeintlichen Feind gar nichts zu tun hat. "Der Iran kämpft gegen die Demütigung der Fremdbestimmung, Israel gegen die Angst, ausgelöscht zu werden", so fasst Jair das Phänomen zusammen.
Der Iran - einstmals ein gigantisches, souveränes Reich - "leidet unter einer jahrhundertelangen Einflussnahme von fremden Nationen." Die Mongolen unter Dschingis Khan, die Osmanen, die Briten und Russen hätten ihren Anteil daran genauso wie die USA, die immer wieder aktiv in die Geschicke des Landes eingegriffen haben, so Jair. So wurde beispielsweise der demokratisch gewählte Premier Mohammad Mossadegh 1953 gestürzt und dann mithilfe des Westens die Dikatur des Schah eingesetzt.
Zu diesen nationalen Demütigungen kämen jetzt auch noch die Sanktionen hinzu, welche die westlichen Industriestaaten aufgrund der vermeintlichen nuklearen Aufrüstung verhängt haben. Das Atomprogramm, so die These der Wissenschaftler, sei ein Versuch des Iran, durch Abschreckung unangreifbar und souverän zu werden - so wie während der "glorreichen Vergangenheit" des Perserreiches. Israel sei als westlicher Vertreter im Nahen Osten und Verbündeter der USA zum Sinnbild des Feindes geworden. Auch die Besetzung der palästinensischen Gebiete werde im Iran immer wieder benutzt, um Israel als Feind anzuprangern.
Angst vor der Auslöschung
"Das Lebensgefühl der Israelis hingegen ist geprägt von einer ständigen Angst vor Auslöschung", sagt Jair. Auch die Religion bietet keinen Trost - viele Feiertage erinnern an Sklaverei, Vertreibung und Exil. Im kollektiven Gedächtnis verhaftet sind Pogrome im 19. und 20. Jahrhundert sowie selbstverständlich der Holocaust.
"Der Iran mit seinen verbalen Drohungen und seinem Atomprogramm trifft genau diesen wunden Punkt." Erinnerungen an das Naziregime würden wach, auch weil Politiker wie der scheidende Präsident Ahmadinedschad den Holocaust leugneten. Das alles erzeuge die unbeugsame Haltung der israelischen Politik, die immer wieder ihr Recht auf Selbstverteidigung betont. "Nie wieder werden die Juden ihr Schicksal kampflos hinnehmen", so Israels Premier Netanjahu.
Beide Nationen seien aufgrund ihrer Traumata - verursacht durch Dritte - nicht in der Lage, das Bild vom anderen zurechtzurücken, so eine These der Studie. Die damit verbundene Vorstellung vom Erzfeind werde so immer wieder aufs Neue bestätigt. "Die Geister der Vergangenheit sind stärker als die tatsächliche Bedrohung", so der Soziologe Jair. Um aus diesem Dilemma herauszukommen, "muss die Weltgemeinschaft dem Iran seine Souveränität zurückgeben. Und Israel braucht ein klares Bekenntnis der iranischen Führung, dass seine Existenz und Zukunft anerkannt werden."
Dass die Iraner und Israelis jenseits der Politik doch einiges verbindet, hat auch eine Facebook-Kampagne bestätigt, die der Grafikdesigner Ronny Edry aus Tel Aviv 2012 ins Leben gerufen hat.
"Ich hatte es satt, Spielball der Politik zu sein", so Edry. "Beide Seiten nutzen Ängste der Menschen aus.", Seine Idee ist so simpel wie wirkungsvoll. Er stellte ein Foto von sich ins Netz und schrieb dazu: "Iraner - wir werden euer Land nicht bombardieren - wir lieben euch."
In Edrys Text heißt es weiter: "Bevor es zum Krieg kommt, müssen wir uns voreinander fürchten, müssen wir einander hassen. Ich habe aber keine Angst vor Euch, ich hasse Euch nicht. Ich kenne Euch noch nicht einmal." Der Erfolg der Kampagne war überwältigend und hält bis heute an. "Es entstand ein Dialog zwischen den Menschen beider Nationen", so der 41-Jährige.
Manch einer kritisiert die Aktion als naiv. Aber Ronny Edry lässt sich nicht beirren: "Menschen versichern sich gegenseitig ihren Respekt und ihre Wertschätzung. Das ändert das Bild in den Köpfen." Die Logik der Feindschaft könne so durchbrochen werden.