Iran: Widerstand gegen Hinrichtungen
10. Januar 2023Mohammad Boroughani ist 19 Jahre alt, Mohammad Ghobadlou drei Jahre älter. Die beiden jungen Männer sind im Rajaee-Shahr-Gefängnis in Karadsch inhaftiert. In diesem Gefängnis westlich von Teheran seien sie am vergangenen Samstag in Einzelzellen verlegt worden, berichten iranische Menschenrechtsaktivisten. Die Verlegung gilt als Maßnahme zur Vorbereitung ihrer Hinrichtung.
Die Mutter von Mohammad Boroughani hatte über soziale Netzwerke mitgeteilt, dass die Behörden sie über die bevorstehende Hinrichtung ihres Sohnes informiert hätten. Am Sonntagabend standen sie und weitere Angehörige der beiden verurteilten jungen Männer vor dem Gefängnis, andere stießen dazu. Es kam zu einer Protestaktion gegen die geplanten Hinrichtungen, bei der auch regierungsfeindliche Parolen gerufen wurden; Videos der Aktion kursieren im Netz. Die Sicherheitsbeamten des Gefängnisses setzten Tränengas ein und schossen in die Luft, um die Unterstützer der beiden Verurteilten zu vertreiben.
"Die Staatsmacht im Iran verhängt und vollstreckt die Todesstrafe, um Angst in der Gesellschaft zu verbreiten. Sie setzen auf Hinrichtungen, weil sie anders die Proteste nicht unter Kontrolle bekommen", sagt Mahmood Amiry-Moghaddam im Gespräch mit der DW. Amiry-Moghaddam ist Direktor der in Oslo ansässigen Menschenrechtsorganisation "Iran Human Rights". "Wenn wir über den Iran reden, dürfen wir nicht vergessen, dass es im Iran keine Rechtsstaatlichkeit und kein ordnungsgemäßes Verfahren gibt. Internationale Reaktionen und Druck können also immer noch das Leben von Mohammad Ghobadlou und Mohammad Boroughani retten", erklärt der Menschenrechtsaktivist.
Sanktionen gegen Revolutionswächter geplant
Der 22-jährige Mohammed Ghobadlou war kurz nach Ausbruch der Proteste Ende September in Teheran festgenommen worden. Ihm wird vorgeworfen, einen Polizisten überfahren zu haben. Der 19-jährige Mohammad Boroughanu wurde in Karadsch festgenommen. Die iranische Justiz hatte ihn zum Tode verurteilt, weil er ein Regierungsgebäude in Brand gesteckt und ein Mitglied der paramilitärischen Basidsch-Miliz verletzt haben soll. Letztere gehört zu den Revolutionswächtern, ihre Angehörigen werden in Zivil für die gewaltsame Unterdrückung von Demonstrationen eingesetzt. Die Revolutionswächter wiederum wurden nach der Revolution von 1979 im Auftrag von Ruhollah Chomeini als Eliteeinheit der Streitkräfte gegründet und unterstehen direkt dem religiösen Führer, also Chamenei.
Die Revolutionswächter müssen auf die Terrorliste der Europäischen Union gesetzt werden, fordern iranische Menschenrechtsaktivisten wie Amiry-Moghaddam. Die USA haben die Revolutionswächter bereits 2019 als Terrororganisation eingestuft. "Ich denke, eine wirksame Reaktion auf die jüngsten Hinrichtungen könnte darin bestehen, die Revolutionswächter auf die Terroristenliste zu setzen und auch Sanktionen gegen alle Einheiten zu verhängen, die direkt dem religiösen Führer Ayatollah Ali Khamenei stehen", sagt Amiry-Moghaddam.
"Die Bundesregierung ist mit EU-Partnern im Gespräch zur Frage der Listung der Revolutionswächter unter dem Anti-Terror-Sanktionsregime der EU. Ein solcher Beschluss setzt Einstimmigkeit innerhalb der EU voraus", heißt es in der Antwort der Regierung auf eine Anfrage der Opposition von Anfang Januar. Die grüne Europaabgeordnete Hannah Neumann sagt im Gespräch mit der DW: "Die Revolutionswächter stehen bereits wegen der Entwicklung von Massenvernichtungswaffen unter EU-Sanktionen. Gegen eine Reihe der Schlüsselfiguren der Revolutionswächter wurden ebenfalls bereits Sanktionen verhängt. Und wir arbeiten im Moment an einem politischen Kompromiss, um die Revolutionswächter als das bezeichnen zu können, was sie eigentlich sind: eine Terrororganisation."
Zur Frage, ob Deutschland die diplomatischen Beziehungen zu Teheran abbrechen sollte, sagt sie: "Ich halte es für wichtig, dass unsere Botschaft in Teheran weiterarbeitet, uns weiterhin mit Informationen versorgt, die Demonstranten weiterhin unterstützt und auch weiterhin Visa für diejenigen bereitstellt, die reisen möchten."
Forderungen an Teheran aus Berlin
Politische Unterstützung für politische Gefangene im Iran kommt auch von deutschen Bundestagsabgeordneten. Mit Patenschaften für politische Gefangene im Iran wollen sie diesen eine Stimme geben. So wie Helge Limburg. Der Grünen-Abgeordnete hat eine Patenschaft für Mohammad Mehdi Karami übernommen. Dennoch wurde der 22 Jahre alte Karate-Champion Karami am Samstag hingerichtet, ebenso wie der 20-jährige Sejjed Mohammad Hosseini. "Es war ein erschreckender Moment, als ich die Nachricht aus dem Iran erhielt", sagt Helge Limburg im Gespräch mit der DW. Er fügte hinzu, weder im Iran noch sonst auf der Welt würden die Menschen angesichts solcher Praktiken schweigen. Limburg erklärte, die Rolle der Paten bestehe darin, "Sonderfälle" ans Licht zu bringen, die die iranischen Behörden zu verbergen versuchten. "Und wir versuchen, es öffentlich zu machen, es in die Welt zu tragen, was im Iran passiert, und den Aktivisten im Iran, die gefoltert, inhaftiert und in unfairen Gerichtsverfahren stehen, ihre Namen ins Gesicht zu zaubern", sagte Limburg.
Seit Beginn der landesweiten Proteste vor knapp vier Monaten verhängte die iranische Justiz bislang 17 Todesurteile. Vier davon wurden inzwischen vollstreckt.
Die Bundesregierung hat "mit Entsetzen" auf jüngsten Hinrichtungen reagiert. "Die Bundesregierung verurteilt auf das Schärfste, dass das iranische Regime weiter auf die Todesstrafe als Mittel der Unterdrückung setzt", erklärte Regierungssprecher Steffen Hebestreit in Berlin. Er rief die Regierung in Teheran "erneut und eindringlich" auf, keine weiteren Todesurteile zu vollstrecken und die Todesstrafe unverzüglich abzuschaffen. Man werde gemeinsam mit den Bündnispartnern den Druck auf den Iran weiter erhöhen. "Wir fordern den Iran auf, alle zu Unrecht Inhaftierten unverzüglich freizulassen", so der Regierungssprecher.