Iranische Scharia und deutsches Standesamt
3. Mai 2022Sarah, 28-jährige Studentin aus dem Iran, wollte in Deutschland ihren deutschen Freund heiraten. Dazu musste sie als Ausländerin beim Standesamt ein sogenanntes Ehefähigkeitszeugnis vorlegen und nachweisen, dass ihrer Heirat keine Hindernisse entgegenstehen. Zum Beispiel, dass sie nicht bereits in ihrem Heimatland verheiratet ist. Eine Vorschrift, die für alle Ausländer bei Eheschließung in Deutschland gilt.
Damit war es aber im Fall von Sarah nicht getan, wie sie der DW erzählt: "Auf dem Standesamt wurde ich darüber informiert, dass ich als Iranerin zusätzlich eine Eheeinwilligung meines Vaters in urkundlicher Form vorliegen muss. Darin muss auch der Name meines Verlobten aufgeführt werden."
Der Grund dafür, dass von iranischen Frauen diese Eheeinwilligungsurkunde des Vaters verlangt wird, ist im Freundschaftsvertrag zwischen dem Deutschen Reich und dem Kaiserreich Persien von 1929 enthalten. Auf Nachfrage der DW schreibt das Bundesministerium für Justiz: "Im Verhältnis zum Iran ist das deutsch-iranische Niederlassungsabkommen vom 17. 2. 1929 zu beachten. Seine Weitergeltung für die Bundesrepublik Deutschland wurde am 4. 11. 1954 bestätigt. (Darin steht unter anderem): 'In Bezug auf das Personen-, Familien- und Erbrecht bleiben die Angehörigen jedes der vertragschließenden Staaten im Gebiet des anderen Staates jedoch den Vorschriften ihrer heimischen Gesetze unterworfen.'
"Scharia in Deutschland?"
Diese "heimischen Gesetze", die Frauen zu unmündigen Staatsbürgern machen, wurden nach der Islamischen Revolution von 1979 kontinuierlich verschärft. Demnach werden alle wichtigen Entscheidungen im Leben einer Frau von Männern getroffen. Heiraten, arbeiten oder reisen – alles hängt von der Zustimmung, man könnte auch sagen: Gnade der Väter ab. Nach der Hochzeit übernimmt das der Ehemann.
Dass das auch außerhalb des Irans gelten soll, ist für emanzipierte iranische Frauen wie Sarah, die in den vergangenen Jahren etwa zum Studium nach Deutschland gekommen sind, inakzeptabel. Vor rund zwei Wochen schrieb eine anonyme iranische Userin auf Twitter: "Meine Freundin möchte in Deutschland heiraten und die Behörden verlangen von ihr eine Erlaubnis ihres Vaters". Der Tweet löst eine Welle der Empörung unter iranischen Frauen aus. "Gelten die reaktionären Scharia-Gesetze auch in Deutschland?" fragt ein User aus dem Iran.
Die Wut im Netz wurde auch durch die Berichte zweier Iranerinnen in der Sendung "WDRforyou" vom Dezember 2021 über ihre Schwierigkeiten beim deutschen Standesamt befeuert. Für eine der beiden Frauen musste der Bruder die Eheeinwilligung unterzeichnen, da weder ihr Vater, noch der Großvater noch ein Onkel noch lebten.
Juristische Feinheiten
Die Eheschließung zwischen einer Iranerin und einem Deutschen vor einem deutschen Standesamt ist auch ohne die Vorlage der Erlaubnis durch den Vater oder einen männlichen Verwandten möglich. Allerdings nur über den Weg eines langwierigen und oft auch kostspieligen Befreiungsverfahrens. Dabei können unerwartete juristischen Hürden auftauchen: So beinhaltet ein Merkblatt mit Informationen, welche Nachweise für dieses Befreiungsverfahren erforderlich sind, den Hinweis, dass die entsprechenden Verordnungen des Landes Bayern Stand Dezember 2019 "die Eheschließung einer iranischen Muslimin mit einem Nichtmuslim untersagen".
Hierzu erläutert das bayerische Justizministerium auf Anfrage der DW: Einerseits sei in diesem Befreiungsverfahren "grundsätzlich das Recht des Staates zu beachten, dem der ausländische Verlobte angehört". Andererseits gibt es, weiterhin laut bayerischem Justizministerium, einen Vorbehalt zu Gunsten des deutschen Rechts. Demnach steht ein ausländisches Eheverbot wegen Religionsverschiedenheit "bei ausreichendem Inlandsbezug einer Ehe in Deutschland nicht entgegen". Für den "ausreichenden Inlandsbezug" werden die einschlägigen Grundgesetzartikel zum Schutz von Ehe und Familie und zum Diskriminierungsverbot aus religiösen Gründen herangezogen.
Im Interesse der Iranerinnen, oder doch nicht?
Das Bundesjustizministerium erläutert auf Anfrage der DW : "Es ist international weit verbreitet, für das Recht der Eheschließung an die Staatsangehörigkeit der Eheleute anzuknüpfen. Dadurch soll vermieden werden, dass eine Ehe nach dem Recht des einen Staats wirksam ist, aber z. B. nach dem Recht des Heimatstaats nicht als gültig anerkannt wird und die Ehegatten damit vor Probleme gestellt werden."
Sollte die deutsch-iranische Ehe schlussendlich den Segen des deutschen Standesamtes erhalten haben, ist sie damit im Iran nicht automatisch gültig. Sie muss in einer iranischen Vertretung in Deutschland registriert, die Eheeinwilligung des Vaters der Braut nochmals beurkundet werden. Schließlich muss der Ehegatte, sofern nicht Muslim, zum Islam übertreten. Zu guter Letzt ist eine religiöse Zeremonie in der iranischen Vertretung notwendig.
Manche Iranerinnen haben gar kein Interesse daran, dass ihre Ehe im Iran anerkannt wird. Denn verheiratete Frauen haben viele Nachteile im Iran. Der Ehemann kann die Ausreise der Frau aus dem Iran verbieten, jederzeit die Scheidung einreichen und bekommt dann automatisch das Sorgerecht für die Kinder.
Freundschaftsabkommen im Wandel der Zeit
Nicht unerwähnt sollte bleiben, dass das deutsch-iranische Freundschaftsabkommen in dunklen Zeiten auch segensreiche Wirkung entfaltete: So konnte der iranische Diplomat Abdol-Hossein Sardari Anfang der 1940er Jahre nach Verhandlungen mit dem Haupt-Organisator der Verfolgung und Vernichtung der Juden in Deutschland und in von Deutschland besetzten Gebieten, Adolf Eichmann, 500 bis 1000 Blankopässe erlangen. Diese Pässe stellte Sardari in Paris iranischen, aber auch nicht iranischen Juden und ihren Familien aus. Damit bewahrte er bis zu 2000 Menschen vor Verfolgung und Vernichtung. Sardari wurde 2004 dafür vom Simon-Wiesenthal-Zentrum geehrt.
Derzeit sitzen ungeachtet des Freundschaftsvertrages mindestens vier deutsche Staatsbürger im Iran im Gefängnis und werden als Geiseln für politisches Entgegenkommen festgehalten. "Wir werden dieses Abkommen überprüfen", sagt der Außenpolitiker und FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai im Gespräch mit der Deutschen Welle. Djir-Sarai, der in Teheran geboren wurde, fügt hinzu: "Veraltete Regelung, die Frauen diskriminieren, gehören abgeschafft."