IS-Terror: Hat Taha A.-J. das jesidische Mädchen getötet?
11. November 2019Der Mann sei klein und sehr schmächtig, kurz geschnittene Haare, kein Bart. Er habe eingeschüchtert gewirkt, ein bisschen verängstigt. So beschreibt Anwalt Serkan Alkan seinen ersten Eindruck von Taha A.-J., seinem Mandanten. Es ist Donnerstag, der 10. Oktober. Einen Tag zuvor ist A.-J. auf dem Flughafen Frankfurt gelandet, überstellt aus Griechenland, wo er seit Mai 2019 in Auslieferungshaft saß.
Das Bild des eingeschüchterten kleinen Mannes scheint so gar nicht zu den monströsen Taten zu passen, die Taha A.-J. vorgeworfen werden: Mutmaßlich soll der Iraker IS-Kämpfer gewesen sein, Sklavenhalter und: Mörder. Die Generalbundesanwaltschaft wirft Taha A.-J. Völkermord vor, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen und Menschenhandel. Die Vorwürfe gegen Taha A.J. bündeln sich in einem Namen: Rania. Rania, die nur fünf Jahre alt wurde, die gemeinsam mit ihrer Mutter bei ihm und seiner Ehefrau - der deutschen IS-Anhängerin Jennifer W. - im irakischen Falludscha als Haussklavin diente.
Und auf die Taha A.-J. einmal, im Sommer 2015, so wütend war, dass er sie im Hof stundenlang ankettete, bei sengender Sonne und Temperaturen von über 45 Grad im Schatten. So bestrafte er Rania, weil sie nachts eingenässt hatte.
Rania: das getötete Mädchen
Das Mädchen starb qualvoll – vor den Augen seiner entsetzten Mutter. Und auch vor den Augen von Jennifer W., die dem Sterben tatenlos zugesehen und nichts unternommen haben soll, um dem Kind zu helfen und ihren Mann zu stoppen.
Lange war der 27-jährige Taha A.-J. kaum mehr als ein Phantom: Unbekannt, abgetaucht nach dem schrecklichen Verbrechen, das ihm vorgeworfen wurde. Niemand wusste, wo er sich aufhielt. Anfang 2016 hatte Jennifer W. – hochschwanger – den Irak verlassen und war nach Deutschland zurückgekehrt.
Jennifer W. unternahm Mitte 2018 den Versuch, zusammen mit ihrer mittlerweile geborenen kleinen Tochter erneut in den "Islamischen Staat" auszureisen. Dabei unterlief ihr ein folgenschwerer Fehler. Sie begab sich in die Hände eines – wie sie dachte – Glaubensbruders. Der hatte angeboten, sie mit dem Auto bis in die Türkei zu bringen. Während der Fahrt durch Deutschland erzählte sie ihm, wie ihr Mann eine jesidische Kindersklavin getötet habe. Tatsächlich aber war der Wagen verwanzt, der vermeintliche "Bruder" ein verdeckter Spitzel der Behörden.
Jennifer W.: die stumme Angeklagte
Jennifer W. wurde festgenommen und angeklagt. Im Frühjahr 2019 begann vor dem Oberlandesgericht München der Prozess gegen sie. Angeklagt ist sie unter anderem wegen Mordes und wegen Kriegsverbrechen.
Da sitzt sie seit mehr als zwei Dutzend Verhandlungstagen zwischen ihren beiden Verteidigern, erinnert mit ihrer dick umrundeten dunklen Brille, dem streng nach hinten geflochtenen langen Zopf, weißer Bluse und schwarzem Blazer äußerlich eher an eine konservative Studentin als an eine fanatische Islamistin. Vor Gericht schweigt die 28jährige beharrlich. Ihr Mann, der das jesidische Mädchen getötet haben soll, war für die Ermittler nicht greifbar.
Nora T.: die problematische Zeugin
Gleich zu Prozessbeginn gegen Jennifer W. war der Nebenklage ein überraschender Coup geglückt: Es gelang, die mutmaßliche Mutter des getöteten jesidischen Mädchens ausfindig zu machen – und als Zeugin und Nebenklägerin in den Münchener Sitzungssaal zu holen.
Nora T., 47 Jahre alt, ist eine gebrochene, schwer traumatisierte Frau. Und eine schwierige Zeugin. Sie hat einen Sprachfehler, beherrscht außerdem nur den kurdischen Dialekt Kurmandschi. Die Dolmetscherin hat Probleme mit der Übersetzung. Dazu kommt: Nora T. kann weder lesen noch schreiben, tut sich schwer mit präzisen Zeitangaben. Ursprünglich sollte Nora T. nur an vier Prozesstagen aussagen. Es wurden mehr als doppelt so viele.
Was Nora T. erzählt: Wie IS-Kämpfer sie und ihre Familie gefangen nahmen und sie dann von ihren älteren Söhnen trennte. Wie sie dann mit ihrer Tochter als Sklavin verkauft wurde, immer wieder. Und wie sie schließlich zu Jennifer W. und Taha A.-J. kam. Sie nennt ihn "Abu Muawia". Das ist der Kampfname, den Taha A.-J. beim IS führt. Und die Jesidin berichtet, dass er ihrem Kind den Namen Rania gab. Weil er sich weigerte, sie bei ihrem jesidischen Namen zu nennen.
Nora T. berichtet auch von ihrem Leben im Haus ihrer "Herren": Einem Leben geprägt von Angst, Sklavenarbeit und Gewalt. Vor allem wegen der kleinen Rania habe es häufig Schläge gegeben. Besonders Jennifer W. habe sich immer wieder von der Fünfjährigen gestört gefühlt, so die Jesidin. In solchen Fällen habe "Abu Muawia" dann zugeschlagen, auch ins Gesicht, mit "harter Hand". Einmal musste das kleine Mädchen offenbar vier Tage im Bett verbringen, um sich zu erholen.
Taha A.-J.: der wieder aufgetauchte Täter
In den Prozess platzt im Mai die Meldung, dass Taha A.-J. in Griechenland festgenommen wurde. Seit April 2019 war Taha A.-J. per internationalem Haftbefehl gesucht worden. Das ist möglich, weil in diesem Fall das sogenannte Weltrechtsprinzip greift: Danach können in Deutschland Straftaten gegen das Völkerstrafrecht auch dann vor Gericht gebracht werden, wenn sie im Ausland begangen wurden und der mutmaßlicher Täter kein deutscher Staatsbürger ist.
Wie lange Taha A.-J. bei seiner Verhaftung bereits in Europa gelebt hat und wie genau er nach Griechenland gelangt war – darüber liegen keine gesicherten Informationen vor.
Wie die Deutsche Welle aus Kreisen der Sicherheitsbehörden erfuhr, soll Taha A.-J. den Irak verlassen haben, weil es ihm dort zu gefährlich wurde. In Griechenland sei er in der Millionenstadt Athen abgetaucht. Taha A.-J. habe sich äußerlich angepasst, er habe seinen Bart abrasiert und sich westlich gekleidet. Er sei in der Menge untergegangen.
Zugleich habe der Iraker in keiner Weise erkennen lassen, dass er sich von der Ideologie des IS distanziert habe. Den Informationen zufolge soll die griechische Polizei gezielt nach Taha A.-J. gesucht haben. Einzelheiten zu seiner Festnahme gaben die griechischen Behörden nicht bekannt. Auf DW-Anfragen hieß es nur, "Terrorismus-Angelegenheiten" würden "nicht kommentiert".
Falludscha: die Heimat des IS-Kämpfers
Bekannt wurde Taha A.-J. allein durch den Tod des Mädchens Rania. In der IS-Hierarchie scheint der Iraker dagegen keine besondere Rolle gespielt zu haben. Die irakischen Behörden gaben gegenüber der Deutschen Welle an, sein Name habe auf keiner der ihnen bekannten Kämpferlisten gestanden.
Seinem Nachnamen zufolge – der der DW bekannt ist – ist Taha A.-J. Mitglied eines großen Familienstammes in und um die irakische Millionenstadt Falludscha. Zwischen 2014 und 2016 stand Falludscha unter Kontrolle des IS. Mitte Juni 2016 gab der irakische Premierminister Haider al-Abadi die Befreiung der Stadt vom IS bekannt. Da war Jennifer W. schon wieder in Deutschland.
München und Frankfurt: zwei Städte, zwei Prozesse
Wo Taha A.-J. sich zu diesem Zeitpunkt aufhielt? Vielleicht wird der Prozess Antworten auf diese und andere offene Fragen geben. Die Bundesanwaltschaft bereitet derzeit ihre Anklage gegen den Iraker vor. Vermutlich in Frankfurt wird er für den Mord an der kleinen Rania vor Gericht gestellt werden. Nach Aussagen von Verteidiger Serkan Alkan spricht sein Mandant neben seiner Muttersprache Arabisch lediglich ein paar Brocken Türkisch.
Bevor Taha A.-J. selbst sich vor Gericht verantworten muss, wird er beim Prozess gegen Jennifer W. in München als Zeuge auftreten. Zum ersten Mal seit fast vier Jahren werden sich die beiden in dieser Woche im Sitzungssaal B277 des Oberlandesgerichts München begegnen. Wahrscheinlich werden dann vor allem ihre Augen sprechen. Denn wie seine Frau wird Taha A.-J. vor Gericht wohl schweigen.
Mitarbeit: Ioannis Papadimitriou und Abbas Al-Kashali