Bald islamische Militärseelsorge in der Bundeswehr
28. März 2024Eva Högl ist die Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages. Sie soll den Anliegen und Nöten der deutschen Soldatinnen und Soldaten Gehör verschaffen. Mitte März legte Högl ihren dritten Jahresbericht als Wehrbeauftragte vor. Und erneut plädierte sie für die Einführung einer Militärseelsorge für Musliminnen und Muslime.
Indes: Welche Partei auch immer den Verteidigungsminister stellte - bislang galt immer die politische Linie: Geht nicht, es fehlt ein Ansprechpartner auf muslimischer Seite. Aber der Sozialdemokratin Högl reicht das 2024 nicht mehr. Sie wird weitaus kritischer. Das "Fehlen einer gleichberechtigten Militärseelsorge für Soldatinnen und Soldaten der islamischen Glaubensrichtungen" sei "äußerst unbefriedigend". Sie fordert das Verteidigungsministerium "sehr nachdrücklich auf, zügig die seelsorgerische Betreuung durch geeignetes Personal auf Leistungsvertragsbasis einzurichten".
Högl erinnert an die mehrwöchige Hilfsmission der deutschen Armee in der Südosttürkei nach dem verheerenden Erdbeben im Februar 2023. Mit im Einsatz: muslimische Soldatinnen und Soldaten. Die seelsorgerliche Betreuung sei allerdings durch zwei nicht-muslimische Militärgeistliche erfolgt. Eine Eingabe an die Wehrbeauftragte belege, "dass sich die muslimischen Bundeswehrangehörigen im Hinblick auf ihre religiöse Praxis teils allein gelassen fühlten".
3000 Muslime in der Truppe
Eine Sprecherin des Verteidigungsministeriums sagt auf DW-Anfrage, die Zahl der Soldatinnen und Soldaten muslimischen Glaubens werde laut einer Studie von 2023 auf 3000 Personen geschätzt.
Schon vor fast 25 Jahren legte das Zentrum Innere Führung, das letztlich Profil und Identität des Unternehmens Bundeswehr prägt, ein Papier mit dem Titel "Muslime in der Bundeswehr" vor. Seit weit über zehn Jahren erschallt die Forderung nach islamischer Militärseelsorge.
Dabei drängen auch die in der Militärseelsorge tätigen Religionsgemeinschaften auf ein qualifiziertes Angebot für Muslime in Uniform. Der evangelische Militärbischof Bernhard Felmberg sagt der DW, sowohl er selbst, als auch evangelische Militärgeistliche seien von Soldatinnen und Soldaten angesprochen worden, die den Bedarf nach Seelsorge thematisiert hätten. Diese Bedürfnisse müsse man wahrnehmen.
Militärseelsorge, so Felmberg, gewährleiste die durch die Verfassung garantierte Religionsfreiheit für die Soldatinnen und Soldaten, die einen besonderen Dienst leisteten. "Da in der Bundeswehr zunehmend auch Muslime ihren Dienst tun, befürworte ich ausdrücklich, dass diesen Soldatinnen und Soldaten die Möglichkeit einer Seelsorge in ihrer Religion zuteil wird." Ähnlich äußerten sich in den vergangenen Monaten auch Vertreter der katholischen und der jüdischen Militärseelsorge.
Die USA und Kanada, Frankreich und die Niederlande, die Schweiz, Österreich und Norwegen gehören zu den Ländern, in denen es islamische Militärseelsorge und meist auch Militär-Imame gibt. In Deutschland fehlt es dafür aber an einer staatsvertraglichen Regelung, weil es keine Dachorganisation gibt, die alle islamischen Glaubensrichtungen vertritt. Zum Vergleich: Die Einführung der jüdischen Militärseelsorge 2019 wurde möglich, weil es als Institution den etablierten Zentralrat der Juden gibt, der für die verschiedenen Strömungen im Judentum in Deutschland verhandeln konnte. Gemeinhin geht man von bis zu 500 jüdischen Angehörigen der Bundeswehr aus.
Druck aus den Ampel-Fraktionen
Drei Abgeordnete der Ampel-Koalition in Berlin sehen aber mittlerweile eine andere Situation. FDP-Fraktionsvize Konstantin Kuhle, Bundestagsvizepräsidentin Aydan Özoguz (SPD) und Filiz Polat, Parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen-Fraktion, forderten im Mai 2023 die Bundesregierung auf, islamische Militärseelsorger in der Bundeswehr zu etablieren. Die muslimische Militärseelsorge müsse "für uns einen hohen Stellenwert haben". Die drei erinnern daran, dass im Februar 2023 die ersten Absolventen des Islamkolleg Deutschland (IKD) in Osnabrück ihre Ausbildung abgeschlossen hätten.
Zwei Monate später antwortete nach Informationen der Deutschen Welle Verteidigungsminister Boris Pistorius. Ihm sei das Thema ein besonderes Anliegen, schrieb er. Deshalb habe er bereits einen Einstieg in ein entsprechendes "seelsorgerliches Betreuungsangebot" für Muslime gebilligt. Das solle noch in dieser Legislaturperiode erfolgen. Sein Ministerium sei dazu mit dem Islamkolleg im Austausch.
Das Ende 2019 gegründete Islamkolleg ist zwar nicht der einzige Ort in Deutschland, an dem Imame und religiöses Betreuungspersonal ausgebildet werden. Aber keine der anderen Einrichtungen wird von der Politik in vergleichbarem Maße mit Erwartungen oder Hoffnungen beobachtet. Das liegt unter anderem an den konkreten Akteuren und der akademischen Anbindung des Projekts.
"Keine Soldaten zweiter Klasse"
Anruf beim IKD-Gründungsdirektor Bülent Ucar: "Wir wünschen uns seit Jahren, dass eine islamische Militärseelsorge aufgebaut wird", sagt er der DW. Der Islamwissenschaftler und Religionspädagoge verweist ausdrücklich auf die derzeit anwachsende jüdische Militärseelsorge.
Von muslimischer Seite wünsche man sich eine "gleiche oder ähnliche personelle und sachliche Ausstattung". Diese Fragen müssten nicht unbedingt in einem Staatsvertrag geregelt werden, aber sie sollten zeitnah geklärt werden. Muslimische Akteure in der Bundeswehr seien "keine Soldaten zweiter oder dritter Klasse", mahnt der in Oberhausen geborene Ucar. Der Staat müsse auch für seelsorgerliche Begleitung Sorge tragen.
Seit Mitte März erarbeitet nun ein Fachreferent des Ministeriums ein konkretes Seelsorge-Angebot für Muslime in der Bundeswehr und solle dessen organisatorische Umsetzung begleiten, wie eine Sprecherin des Verteidigungsministeriums der DW sagt. Dieser "grundsätzliche Einstieg" habe das Ziel, das bisherige Seelsorge-Angebot von christlicher und jüdischer Seite zu erweitern.