Israel, die USA und Bidens Dilemma
1. August 2023Außenpolitisch hat sich die Regierung von US-Präsident Joe Biden bisher neben der Ukraine primär auf China konzentriert. Nach der teilweisen Verabschiedung der umstrittenen Justizreform und den anhaltenden Protesten in Israel wird Biden den Blick verstärkt Richtung Nahost richten müssen, auch wenn er damit im eigenen Land nur verlieren kann.
Israel und die USA verbindet eine lange und enge Geschichte - und finanzielle Verbundenheit. Die USA unterstützen das Land jährlich mit umgerechnet knapp 3,5 Milliarden Euro - davon geht ein beachtlicher Teil in die Abwehr von Raketen und Militärtechnik.
Der jüdische Staat ist damit der größte Empfänger von angesammelter US-Militärhilfe seit Ende des Zweiten Weltkriegs, derzeit insgesamt etwa 158 Milliarden US-Dollar. Nun hat diese Kooperation durch die Justizreform in Israel Risse bekommen.
Kritik unter Freunden
"Bedauerlich" nannte Biden die Verabschiedung des Vorhabens am 24. Juli in der Knesset, dem israelischen Parlament. Es waren ungewöhnliche und bis dahin ungehörte Worte des US-Präsidenten, der gerne immer wieder auf seine enge Bindung zu Israel verweist.
Wenige Tage zuvor hatte er in einem Interview mit dem US-Sender CNN bereits seine Besorgnis über die politische Lage in Israel zum Ausdruck gebracht: "Es gibt einige sehr extreme Elemente in der Regierung. Vor allem diejenigen im Kabinett, die sagen, die Palästinenser hätten keine Rechte."
Bidens Äußerungen sind auch deshalb so ungewöhnlich, weil ein amtierender Präsident sich damit entgegen allen diplomatischen Gepflogenheiten und wiederholt zu einer innenpolitischen Kontroverse in einem befreundeten Land äußert. Zu begründen ist das mit dem extremen Druck, der auf dem Präsidenten liegt.
Proteste aus der Diaspora
Der politische Dammbruch vollzieht sich nicht nur im Weißen Haus, sondern auch innerhalb der weltweiten jüdischen Community. So schaltete der Jüdische Weltkongress nach der Verabschiedung eines Teils der Justizreform ganzseitige Anzeigen in US-amerikanischen Zeitungen wie der Washington Post und New York Times.
Die Botschaft: "Wir, die Juden in der Diaspora, mischen uns normalerweise nicht in die israelische Politik ein. (...) Wir sind immer vorsichtig, um die Souveränität zu respektieren. Aber heute steht die Zukunft Israels auf dem Spiel. Der einzige Staat des jüdischen Volkes ist in unmittelbarer existenzieller Gefahr."
Bis noch vor kurzem wäre es völlig undenkbar gewesen, dass sich die internationale Vereinigung von jüdischen Gemeinschaften und Organisationen öffentlich so kritisch gegenüber Israel äußert.
"Dunkler Tag für die Demokratie"
Das Thema ist mittlerweile auch auf der innenpolitischen Agenda der USA angekommen. So erklärte der demokratische Abgeordnete des Repräsentantenhauses Jerry Nadler nach der Verabschiedung eines zentralen Aspekts der Justizreform in der Knesset in einem öffentlichen Statement: "Heute ist ein dunkler Tag für die israelische Demokratie". Der 76-jährige, jüdisch-orthodox erzogen, hatte bisher auch in schweren Krisen die Politik des Staates Israel verteidigt.
Hinzu kommt der progressive Flügel der US-Demokraten, der wegen der Palästinenserfrage schon lange auf einen kritischeren Kurs gegen Israel drängt und nach der jüngsten Justizreform den Präsidenten auffordert, die finanzielle Unterstützung für Israel zu streichen.
"Absolute Unterstützung für Israel"
Die oppositionellen Republikaner versuchen, die schwierige politische Lage für sich auszuschlachten. Der ehemalige US-Vizepräsident Mike Pence kritisierte: "Die jahrzehntelange Beschäftigung der Demokraten mit der Innenpolitik Israels ist falsch". Pence hatte in den vergangenen Wochen keine Gelegenheit ausgelassen, seine "absolute Unterstützung" für Israel zu bekräftigen.
Was also kann der derzeitige Präsident in dieser Gemengelage tun? Laut Steven Cook, zuständig für Nahost und Afrika bei der US-Denkfabrik Council on Foreign Relations (Rat für auswärtigen Beziehungen), befindet sich Biden in einer strategischen Zwickmühle.
"Der Präsident will sich vor den Wahlen nicht mit den Israelis anlegen, zumal seine Gegner in der republikanischen Partei nun auch Israel zu ihrem Anliegen gemacht haben, neben den Themen Abtreibung, Waffen und weniger Steuern." Dass Biden Finanzhilfen für Israel kürzen könnte, hält er für unrealistisch: "Die Wahrscheinlichkeit ist gleich null."
Ähnlich sieht es Brett Bruen, ein politischer Stratege, der für Ex-Präsident Barack Obama (2009-2017) im Weißen Haus gearbeitet hat. "Es ist zwar unwahrscheinlich, dass die Hilfe für Israel eingestellt wird, aber wir werden mehr symbolische Handlungen sehen, die unsere Besorgnis öffentlich zeigen."
Bruen ist Präsident der hochrangigen US-Vereinigung für politisches Krisenmanagement Global Situation Room. Zu den "symbolischen Handlungen", so Bruen, "könnte die Verschiebung eines Besuchs des Premierministers im Weißen Haus oder die Einschränkung der Reisen hochrangiger amerikanischer Beamter nach Israel gehören."
Warten auf Trump
Wie viele US-Analysten geht auch der ehemalige Berater Obamas davon aus, dass Benjamin Netanjahu auf eine Wiederwahl von Donald Trump Ende 2024 spekuliert. Aaron David Miller von der Carnegie Stiftung für Internationalen Frieden, hat dafür eine Erklärung anzubieten.
"Die Trump-Regierung hat Israel einen vierjährigen politischen Höhenflug beschert. Sie hat Jerusalem als die Hauptstadt Israels anerkannt", erklärt er. Trump habe die Botschaft und Israel die Souveränität über die Golanhöhen zugestanden.
"Die republikanische Rechte, die Konservativen, die evangelikalen Christen und die konservativen Juden in den Vereinigten Staaten scharen sich im Grunde um Trump, weil er keine Fragen stellen will", so Miller. "Ihm ist es egal, was Netanjahus Regierung tut, solange er von Netanjahu bekommt, was er braucht. Und das wird er, es handelt sich im Grunde um blinde Unterstützung."