Ist Hollandes Europa-Kritik ein Marketing-Trick?
22. April 2012Es sind keine rosigen Nachrichten, die der bekannte Wirtschaftspublizist Nicolas Baverez wenige Tage vor den Präsidentschaftswahlen für seine Landsleute bereithält. Diese Wahl sei die letzte Chance für eine Modernisierung Frankreichs auf demokratischem Wege. Geschehe nichts, formulierten ab Sommer die Märkte die Gesetze, schreibt Baverez in einem aktuellen Aufsatz.
Modernisierung Frankreichs
Frankreich als nächstes Opfer der Finanzmärkte? Für Sarkozy-Herausforderer François Hollande kommt eine solche Debatte kurz vor dem ersten Wahlgang am kommenden Sonntag (22.04.12) zur Unzeit. Entsprechend harsch weist Sozialisten-Berater Jacques-Pierre Gougeon ein solches Szenario zurück: „Frankreich hat gegenwärtig keine Schwierigkeiten, seine Staatsanleihen am Markt zu verkaufen. Wir zahlen etwas höhere Zinsen – das ist natürlich problematisch. Aber wir sind weit von einer Situation entfernt, wie sie in anderen Ländern Europas herrscht.“
Frankreich als Bittsteller bei den anderen EU-Partnern? Eine Horrorvorstellung für François Hollande, der lieber selbst Forderungen an Europa formuliert.
„Ich werde den Europäischen Fiskalpakt neu verhandeln“
Zum Beispiel die Neuverhandlung des Europäischen Fiskalpaktes mit strengen Regeln für Haushaltssünder. Eine Ankündigung, die man in Berlin als Drohung auffassen muss, schließlich ist der Vertrag auf Initiative der Kanzlerin entstanden. Für Renaud Dehousse vom Zentrum für Europäische Studien der renommierten Pariser Hochschule Sciences Po ist Hollandes Vorpreschen aber weniger ein Signal an die europäischen Partner, als vielmehr innenpolitisch motiviert.
Der Politikwissenschaftler sieht sowohl Hollande als auch Amtsinhaber Sarkozy gefangen in einem Wählerdilemma. Die für den Sieg im zweiten Wahlgang am 6. Mai entscheidenden Stimmen, so Dehousse, bekämen die gemäßigten Kandidaten nur von den radikalen und europafeindlichen Rändern. Für Nicolas Sarkozy sind das die Anhänger der rechtsextremen Front National und für François Hollande die immer größer werdende Zahl an Unterstützern des abtrünnigen Sozialisten Jean-Luc Mélenchon, der als Kandidat der Front de Gauche (Linksfront) antritt. „Warum benutzt Hollande das Wort Neuverhandlung? Weil er sehr genau weiß, dass bei den Wählern, die für ihn im zweiten Wahlgang stimmen könnten, sehr viele Menschen dabei sind, die bei der Volksabstimmung über die Europäische Verfassung 2005 mit Nein gestimmt haben“.
Neuverhandlung als innenpolitisches Signal
Die markige Forderung ist also eher ein Marketing-Trick für französische Wähler als eine radikale Kurskorrektur für die EU, vermutet auch Yann-Sven Rittelmeyer vom Französischen Institut für Internationale Studien (ifri). „Es ist zwar noch nicht ganz klar, was Hollande genau will. Aber die einfachste Interpretation ist wohl, dass es hier um eine symbolische Geste geht.“
Das könnte zum Beispiel ein Zusatzprotokoll mit Maßnahmen für Wachstum und Beschäftigung sein, die dem von Frankreich und 24 weiteren EU-Staaten bereits unterschriebenen Fiskalpakt beigefügt würden. „Das sind ja Themen, die von der EU in Brüssel bereits verhandelt werden. Nun müssten die anderen Staats- und Regierungschefs aber auf französischen Druck hin akzeptieren, dass ein Dokument an den Fiskalvertrag angeheftet wird. François Hollande will, dass diese Maßnahmen die gleiche Bedeutung haben wie die Budgetdisziplin.“
Hollande selbst, sagt Berater Gougeon, habe die Notwendigkeit des Sparens in Europa erkannt und damit auch den Fiskalpakt grundsätzlich akzeptiert: „Es geht nicht darum, alles kaputtzumachen. Es geht darum, einen Aspekt zu behalten und einen weiteren hinzuzufügen, um den Vertrag ausgewogener zu machen.“
Angriff auf die Zentralbank
Ähnlich gelagert ist wohl auch die Debatte über eine politischere Rolle der Europäischen Zentralbank. Auch hier will Hollande vor allem Signale an seine Wähler senden, zumal Deutschland jegliche Vertragsänderungen in diese Richtung blockieren würde.
Die Interessen Frankreichs seien offensichtlich, sagt die Wirtschaftswissenschaftlerin Isabelle Bourgeois vom deutsch-französischen Forschungsinstitut Cirac: „Was Frankreich sich von einer Zentralbank erhofft, die etwas mehr auf die Politik achtet, ist, weiterhin billig an Geld zu kommen, um auch in Zukunft über den Verhältnissen leben zu können.“
Nähe zu deutschen Europaplänen
Abseits weniger markiger Forderungen im Wahlkampf gilt François Hollande auf europäischer Bühne als weitgehend unbeschriebenes Blatt. Da er in der Vergangenheit kein Ministeramt bekleidet hat, gab es bislang kaum Berührungspunkte zwischen dem Kandidaten und den europäischen Partnern. Zumal Bundeskanzlerin Angela Merkel und andere konservative Staats- und Regierungschefs dem Sozialisten einen Termin im Wahlkampf verweigert haben.
Dabei erkennt Politikprofessor Dehousse bei Hollande ein positives Europabild. Das zeige schon sein Lebenslauf. Hollande hat sich lange Jahre im Umfeld des erfolgreichen EU-Kommissionspräsidenten Jacques Delors bewegt. Und er hat in der großen Schicksalsfrage der Sozialistischen Partei, der Abstimmung über die Europäische Verfassung im Jahre 2005, mit Ja votiert. Hollande, so Dehousse, habe sich nicht nur der pro-europäischen Sache verschrieben, sondern gehöre auch zu den in Frankreich seltenen Anhängern supranationaler Integration, wie sie den Gründervätern Monnet und Schuman vorschwebte. „Das ist aus meiner Sicht sehr wichtig. Falls er gewählt werden sollte, haben es die Deutschen mit einem französischen Staatschef zu tun, der den klassischen deutschen Positionen der Gemeinschaftspolitik viel näher steht als dessen Vorgänger.“
In der Außenpolitik zählen staatliche Interessen
Zugleich warnt Dehousse davor, mögliche Unterschiede zwischen den Kandidaten überzubewerten, schließlich werde Außenpolitik vor allem von den Interessen des Staates bestimmt. Und hier gibt es zwischen Deutschland und Frankreich vor allem gewichtige Unterschiede in der Auffassung über Wirtschafts- und Sozialpolitik.
Kein Wunder also, dass sowohl Hollande als auch Sarkozy staatlichen Lösungen viel stärker zugeneigt seien als die Bundesregierung. Und auch bei den Attacken auf die Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank wiederhole Hollande im Grunde nur Positionen, die Sarkozy in der Vergangenheit auch bezogen habe.
Chaos im Übergang?
Weil im Wahlkampf die Außenpolitik nur am Rande vorkommt, müssen sich die Partner Frankreichs aber noch gedulden, um ein genaues Bild von François Hollande zu erhalten. Traditionell rücken nach einem Präsidentenwechsel stets die innenpolitischen Fragen in den Vordergrund. Renaud Dehousse: „François Hollande wird als erstes eine Regierung ernennen, deren einziger Zweck es sein wird, die Parlamentswahlen im Sommer zu gewinnen.“ Vor dem Herbst sei eher nicht mit außenpolitischen Initiativen zu rechnen.
Mittelfristig spreche aber nichts gegen ein Tandem Merkel-Hollande, analysiert Forscher Rittelmeyer: „Man braucht Zeit, um sich aneinander zu gewöhnen. Das war zu Anfang zwischen Nicolas Sarkozy und Angela Merkel auch der Fall. Und da die Persönlichkeit eine wichtige Rolle spielt, waren die Beziehungen zwischen beiden zu Beginn auch sehr kompliziert.“
Was den Charakter betrifft, könnte der zurückhaltende und im kleinen Kreis ebenso wie Merkel humorvolle Hollande sogar eher auf einer Linie mit der Kanzerlin liegen als der ungestüme Nicolas Sarkozy. Bleibt die Frage, ob die Finanzmärkte Hollande und Merkel die Zeit für einen langsamen Neustart geben.