Tag der Wahrheit für Regierungschef Renzi
26. September 2016Dem italienischen Regierungschef Matteo Renzi steht die größte Probe seiner bisherigen Amtszeit bevor. Am 4. Dezember soll die Bevölkerung über die tiefgreifendste Verfassungsreform seit Jahrzehnten abstimmen. Das Datum für das Referendum schlug Renzi am Montag dem Kabinett in Rom vor.
Für den Fall, dass die Italiener gegen das Reformwerk stimmen, hatte der Sozialdemokrat, der die Regierung in Rom seit Februar 2014 führt, seinen Rücktritt angekündigt. Zuletzt war Renzi allerdings wieder etwas zurückgerudert. Angesichts fallender Umfragewerte bezeichnete der Ministerpräsident es inzwischen mehrfach als "Fehler", das Votum mit seiner Person verknüpft zu haben. Er will sich nun intensiv für eine Zustimmung zu den geplanten massiven Verfassungsänderungen einsetzen, wenn notwendig in einer Kampagne von "Haus zu Haus". Nach Einschätzung der meisten politischen Beobachter kann Renzi allerdings kaum im Amt bleiben, sollten die Italiener seine Pläne ablehnen.
"Sì'" oder "No"
Das vom Parlament bereits verabschiedete Reformprojekt gilt als wichtigste Verfassungsänderung in Italien seit 1945. Die von Renzi betriebene Reform soll das bisherige System zweier gleichberechtigter Parlamentskammern abschaffen, die sich oft gegenseitig blockierten. Ziel ist es, Italien politisch stabiler und leichter regierbar zu machen, indem langwierige Prozeduren bei politischen Entscheidungen künftig vermieden werden. Die Zuständigkeiten des Senats sollen stark beschränkt werden, um die Gesetzgebung zu beschleunigen und zu vereinfachen.
Die Zahl der Senatoren soll von derzeit 315 auf 100 gesenkt werden. Der Senat soll künftig Aufgaben übernehmen, die denen des deutschen Bundesrats ähneln. Die Zustimmung des Oberhauses wird dann nur noch bei einer begrenzten Anzahl von Gesetzen nötig sein. Außerdem soll den Mitgliedern der zweiten Parlamentskammer künftig die Teilnahme an Misstrauensvoten gegen die Regierung verwehrt sein.
Politikwissenschaftler halten die Verfassungsänderung nach der Reform des Arbeitsmarktes für die wichtigste aller Strukturreformen der Regierung Renzi. Das bisherige System war nach dem Zweiten Weltkrieg geschaffen worden, um eine Rückkehr zum Faschismus zu verhindern. Heute jedoch gilt es als eine der Hauptursachen für die politische Lähmung und Instabilität Italiens: Seit 1945 hatte das Land 63 Regierungen, allein seit 2010 gab es vier verschiedene Ministerpräsidenten.
Knapper Ausgang erwartet
In jüngsten Meinungsumfragen liegen Reform-Befürworter und -Gegner Kopf-an-Kopf. Die Oppositionsparteien und auch einige "Rebellen" in Renzis Demokratischer Partei, kurz PD, sind gegen das neue Regelwerk. Sie befürchten, dass die Regierung - vor allem im Zusammenspiel mit der anstehenden Reform des Wahlrechts - zu viel Macht bekommt.
qu/mak (dpa, afp)