Italiens Verfassungsrichter kippen Wahlrecht
25. Januar 2017Nach einem Urteil des Verfassungsgerichts sind Neuwahlen in Italien noch in diesem Jahr wahrscheinlicher geworden. Zwar lehnten die Richter Teile des noch nie angewendeten Wahlrechts Italicum ab. Sie machten dem Parlament mit ihrer Entscheidung aber klare Vorgaben für eine Überarbeitung des Wahlrechts, die den Weg für Wahlen vor dem Frühjahr 2018 ebnen würde.
Die vom damaligen Ministerpräsidenten Matteo Renzi 2015 durchgesetzte Wahlrechtsreform hatte das Mehrheitswahlrecht für die Abgeordnetenkammer eingeführt, um die Regierungsbildung zu erleichtern. Die Reform sah auch de facto die Abschaffung des Zwei-Kammer-Systems vor, weil die Zuständigkeiten des Senats stark eingeschränkt werden sollten. Die Italiener lehnten die Entmachtung des Senats jedoch im Dezember in einem Referendum ab. Renzi trat daraufhin zurück und übergab das Amt an Paolo Gentiloni.
Da das Wahlrecht mit der gekippten Verfassungsreform verknüpft war, gibt es für den Senat und für das Abgeordnetenhaus zwei unterschiedliche Regelungen. Staatspräsident Sergio Mattarella hatte signalisiert, dass es Neuwahlen erst mit einheitlichen Vorgaben geben kann.
Das Italicum ist lediglich auf das Abgeordnetenhaus zugeschnitten und umstritten, weil es einen Mehrheitsbonus für die stärkste Partei vorsieht. Jene Gruppierung, die mit mehr als 40 Prozent gewinnt, erhält automatisch 340 von 630 Sitzen im Abgeordnetenhaus. Die Richter sahen in diesem Punkt keinen Widerspruch zur Verfassung. Für unzulässig erklärten sie aber eine Stichwahl zwischen den beiden stärksten Kräften für den Fall, dass keine der Parteien die 40-Prozent-Marke knackt. Das Verfassungsgericht strich auch eine Regelung, nach der die Erstplatzierten auf den Listen in mehreren Wahlkreisen antreten und sich nach der Wahl einen Wahlkreis aussuchen können.
Die Entscheidung der Verfassungsrichter schaffe die Bedingungen dafür unverzüglich zu wählen, sagte der Fraktionsvorsitzende der sozialdemokratischen Regierungspartei PD im Abgeordnetenhaus, Ettore Rosato, der Zeitung "La Repubblica". "Wir haben keine Zeit mehr zu verlieren", sagte Parteifreund Stefano Pedica. Die zweitstärkste Partei im Parlament, die eurokritische Fünf-Sterne-Bewegung, forderte, das Italicum für den Senat anzupassen. "Jedes andere Gesetz, das dieses Parlament macht, wäre ein Gesetz gegen uns", sagte der Abgeordnete Alessandro Di Battista.
Spekuliert wird, dass es in Italien im Frühsommer Neuwahlen geben könnte - nach dem G7-Gipfel, der Ende Mai auf Sizilien Ende stattfindet. Umfragen sehen die PD derzeit bei gut 30 Prozent, während die oppositionelle Fünf-Sterne-Bewegung um Beppe Grillo knapp 28 Prozent auf sich vereint. Die bürgerlich-konservative Forza Italia von Ex-Ministerpräsident Silvio Berlusconi steht bei rund 13 Prozent, die ausländerfeindliche Lega Nord liegt nur minimal dahinter.
stu/cgn (afp, dpa)