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Machtkampf um Sicherheitsgesetze

Martin Fritz (aus Tokio)15. Juli 2015

Premierminister Shinzo Abe will Japan das Recht auf kollektive Selbstverteidigung einräumen. Das Unterhaus folgte ihm jetzt. Aber Verfassungsexperten und weite Teile der Bevölkerung misstrauen seinen Argumenten.

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Japan Parlament Abstimmung Sicherheitsgesetz
Bild: Reuters/T. Hanai

Das Unterhaus in Tokio stimmte mit der Zwei-Drittel-Mehrheit der Regierungsparteien für eine Reihe von umstrittenen Gesetzesentwürfen, die eine erweiterte Rolle des Militärs im Ausland zulassen. Zuvor hatte ein spezielles Komitee nach über 117 Stunden Debatte über mehrere Monate hinweg das kontroverse Paket verabschiedet. Nach dem Willen von Premierminister Shinzo Abe soll sich Japan vom strikten Pazifismus der Nachkriegszeit verabschieden.

Zahlreiche Abgeordnete der Opposition störten die Abstimmung mit Zwischenrufen und hielten Plakate mit Aufschriften wie "Abes Politik ist unverzeihlich" und "Schon wieder wird ein Gesetz durchgerammt" hoch. Ein Parlamentarier sprach von einem "historischen Verbrechen". Am Vortag hatten 20.000 Bürger in Tokio gegen die Änderung demonstriert.

Japans Parlament hat das umstrittenne Paket von Sicherheitsgesetzen trotz Proteste verabschidet. (Foto: Reuterss)
Proteste im japanischen ParlamentBild: Reuters/T. Hanai

Dem konservativen Regierungschef Abe geht es darum, 70 Jahre nach dem verlorenen Zweiten Weltkrieg die volle Souveränität von Japan wiederherzustellen, so wie es Deutschland im Zuge der Wiedereinigung gelang. Der Weg in Japan ist allerdings juristisch komplizierter als in Deutschland und politisch höchst umstritten. Bereits vor einem Jahr hatte das Abe-Kabinett den Artikel 9 der Nachkriegsverfassung, der Japan das Recht auf Kriegsführung aberkennt, neu ausgelegt. Anders als bis dahin angenommen habe Japan doch ein Recht auf kollektive Selbstverteidigung, beschloss das Kabinett. Auf diese Weise wollte Abe den schwierigen Weg einer Verfassungsänderung im Parlament mit anschließender Volksabstimmung umgehen.

Keine weitreichenden Änderungen

Bei einer Rede vor dem US-Kongress in Washington im April hatte der Premierminister "weitreichende Änderungen" der Gesetze für den Sommer versprochen. Sein Ziel: Die japanischen Streitkräfte sollen gemeinsam mit ihrem einzigen militärischen Bündnispartner USA und anderen Ländern kämpfen dürfen, falls das "Überleben von Japan stark bedroht" ist. Nach der bisherigen Lesart der Verfassung sind solche gemeinsamen Militäraktionen selbst bei einem Angriff auf Japan nicht möglich. Entgegen Abes Ankündigung bringen die neuen Sicherheitsgesetze allerdings nur relativ kleine Änderungen.

Japans Opposition protestierten mit den Aufschfiten: "Abes Politik ist unverzeihlich" und "Schon wieder wird ein Gesetz durchgerammt". (Foto: Reuters)
Oppositionsprotest mit Transparenten: "Abes Politik ist unverzeihlich"Bild: Reuters/T. Hanai

Nun wird zwar eine engere militärische Zusammenarbeit mit den USA und anderen Nationen in der Region, etwa Australien, möglich. Die Befürchtung von Kritikern, dass Japan künftig in alle militärischen Konflikte der USA hineingezogen werde, hält der Politologe Robert Dujarric von der Temple University Japan jedoch für unrealistisch. Zudem kann Japan künftig an UN-Friedensmissionen teilnehmen, allerdings immer noch nicht mit Kampftruppen. Trotzdem lehnten bei einer Umfrage des größten privaten Fernsehsenders Nihon TV 59 Prozent der Befragten in Japan die Änderungen ab. Nur 24 Prozent waren dafür.

Wenig Verständnis der Öffentlichkeit

Auch die Zustimmungswerte für Abe sanken auf den tiefsten Punkt seiner Amtszeit. "Wir haben noch kein Verständnis der Öffentlichkeit erreicht", räumte der Regierungspolitiker Shigeru Ishiba ein. Vor allem die Fachleute urteilten negativ. "98 Prozent der Experten halten die Gesetze für verfassungswidrig", meinte Yasuo Hasabe von der Universität Waseda in Tokio. Kenji Ishikawa von der Universität Tokio sprach von einem "Staatsstreich". Der Verfassungsexperte Sota Kimura der Stadtuniversität Tokio sieht eine "schwere Gefahr für die Rechtsstaatlichkeit". Der bekannte Filmregisseur und Pazifist Hayao Miyazaki formulierte das Gefühl der schweigenden Mehrheit: "Abe will die militärische Macht von China mit militärischer Macht unterdrücken. Aber das ist unmöglich."

Japans namhafter Pazifist und Regisseur Hayao Miyazaki: "Abe will die militärische Macht von China mit militärischer Macht unterdrücken. Aber das ist unmöglich." (Foto: Reuters)
Pazifist und Regisseur Hayao Miyazaki: "Abe will die militärische Macht von China mit militärischer Macht unterdrücken."Bild: Reuters

Der Hinweis von Miyazaki trifft den wunden Punkt der konservativen Regierung: Tatsächlich geht es Abe mit dem neuen Verteidigungskurs darum, zusammen mit den USA ein Gegengewicht zur wachsenden Macht von China in Asien zu bilden. Zugleich erhofft sich Japan davon eine höhere Bereitschaft der USA, bei einem militärischen Streit um eine von China beanspruchte Inselgruppe - die Senkaku- bzw. Diaoyu-Inseln - an der Seite von Japan zu kämpfen. Doch in der öffentlichen Diskussion hat Abe jede direkte Nennung von China als Gegner vermieden, um die Beziehungen zum Nachbarn nicht noch weiter zu verschlechtern.

Bisher hat der Premier nur ein einziges Szenario genannt, bei dem Japans Streitkräfte außerhalb der Heimat zum Einsatz kommen könnte: Eine Blockade der japanischen Ölversorgung in der Straße von Hormus am Arabischen Golf. Das ist jedoch ein relativ unrealistisches Szenario, da Japan viel weniger von arabischem Öl abhängig ist als in der Vergangenheit. Auch seine eigenen Parteigenossen machten ihm einen Strich durch die Rechnung: Kürzlich blockierten sie die Veröffentlichung des jährlichen Weißbuchs für Verteidigung. Chinas Hegemoniestreben etwa durch den Bau von künstlichen Inseln im Südostchinesischen Meer müsste zuvor deutlicher herausgestellt werden.