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Jeff Koons wegen Plagiatsvorwürfen verurteilt

Matthias Beckonert
25. Februar 2021

Erneut wurde der US-amerikanische Künstler Jeff Koons wegen Plagiatsvorwürfen verurteilt. Wann sind Kunstwerke Plagiate, was bedeutet das für unsere Memes?

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Die Skulptur "Fait d'hiver" von Jeff Koons, hier 2012 in einer Ausstellung im Frankfurter Liebieghaus
Die Skulptur, um die es geht: "Fait d'hiver", hier 2012 in einer Ausstellung im Frankfurter Liebieghaus. Bild: Liebieghaus Skulpturen Sammlung, 2012/Foto: Maria Bykova

Wirklich neu, so könnte man zusammenfassen, ist das Ganze nicht. Das zumindest ist das Urteil eines Pariser Berufungsgerichts zu den Plagiatsvorwürfen gegen den Pop-Art-Künstler Jeff Koons. Der US-Künstler habe seine Skulptur "Fait d'hiver" bei der Werbung eines französischen Bekleidungsherstellers abgekupfert und müsse für die unerlaubte Nachahmung Schadensersatz an den Werbedesigner zahlen.

Neu dürfte dieser Vorwurf an seiner Kunst auch für Koons selbst nicht sein. Denn es ist nicht die erste Verurteilung des Superstars wegen Urheberrechtsverletzungen. Regelmäßig muss sich Koons gegen Plagiatsvorwürfen verteidigen - und regelmäßig unterliegt er vor Gericht. Dabei kann man davon ausgehen, dass Koons sich die besten Anwälte leisten kann: Er zählt nicht nur zu den weltweit bekanntesten Gegenwartskünstlern, er ist auch der teuerste.

Der Künstler Jeff Koons
Jeff KoonsBild: picture alliance/AP Images/M.Euler

So erzielte Koons' Kaninchen-Skulptur "Rabbit" 2019 bei einer Versteigerung in New York den Rekordpreis von 91,1 Millionen US-Dollar (damals: gut 81 Millionen Euro). Damit eroberte sich der US-Künstler seinen Platz an der Spitze vom Briten David Hockney zurück, der eine andere Skulptur von Koons mit seinem "Portrait of an Artist (Pool with two figures)" (90,3 Millionen Dollar) überholt hatte.

Das Kopieren ist die Kunst

Warum hat ein solcher Künstler von Rang es also nötig, zu plagiieren? Ganz einfach: Seine Kunst ist das Kopieren. Die Pop-Art-Bewegung war von Anfang an subversiv. Anders als bei der als elitär verstandenen Kunst, die man bis dahin kannte, griff sie alltägliche oder beliebte Gegenstände auf und verarbeitete sie. Kitsch und Fließbandprodukte gehören dabei ebenso zum Repertoire wie Filme, Fotografien oder Werbung. Man könnte die Frage also auch umdrehen: Warum wird solche Kunst eigentlich als Plagiat verunglimpft?

Im konkreten Fall gestaltet sich dieser Gegensatz so: Der Werbefachmann Franck Davidovici entwirft 1985 für den französischen Bekleidungshersteller Naf Naf eine Werbe-Fotografie: Darauf zu sehen ist eine Frau, mit einem dicken Mantel bekleidet, die mit aufgerissenen Augen auf dem Rücken im Schnee liegt. An ihrem Kopf riecht ein Schwein, das ein Schnapsfass um den Hals trägt und damit an die Legende von Bernhardiner-Suchhunden erinnert, die den Schnaps angeblich zum Aufwärmen von Lawinenopfern bei sich trugen.

Dem Gericht reicht das nicht

Die Werbekampagne mit Schweinen, die die Rollen anderer Tiere übernahmen, war für das Unternehmen in den 1990er Jahren ein großer Erfolg. Das schwarz-weiße Fotomotiv von der Frau und dem Schwein hat die Pop-Art-Ikone Jeff Koons für eine bunte Skulptur übernommen und angepasst. Die Frau wurde nackter, das Schwein bekam einen lüsternen Gesichtsausdruck verpasst und einen Pinguin an die Seite gestellt.

Jeff Koons vor seiner Skulptur "Rabbit"
Hat gut lachen: Koons Skulptur "Rabbit" wurde 2019 zum teuersten Werk eines noch lebenden Künstlers.Bild: picture-alliance/dpa/D. Deme

Vor Gericht argumentierte Koons, dass er eben ein Aneignungskünstler sei. Wie der Name schon sagt, geht es dabei um die Aneignung von schon bestehenden Motiven. Das Kopieren und Verändern wird zum eigentlichen künstlerischen Konzept - womit auch das bisherige Verständnis von Kunst in Frage gestellt wird: Was bedeutet eigentlich Originalität, was macht einen Künstler zum Künstler, wie nehmen wir Kunst im Vergleich zu anderen Dingen wahr, und warum erzielen manche Werke so hohe Preise?

Dem Gericht reichte diese Argumentation jedoch nicht aus. Man erkenne zwar gewisse Unterschiede, "vorherrschend" aber seien die Ähnlichkeiten. Die Folge: Jeff Koons und das Centre Pompidou, das die Skulptur 2014 in einer Retrospektive ausgestellt hatte, müssen insgesamt 190.000 Euro Strafe zahlen. Das sind, nebenbei, noch einmal über 50.000 Euro mehr als in einem ersten Urteil von 2018. Außerdem darf die Skulptur "Fait d'hiver" nicht mehr ausgestellt oder reproduziert werden.

Blick nur für Äußerlichkeiten

Im Gespräch mit der DW zeigt sich Eva-Maria Bauer verwundert über das Urteil. Sie forscht am Zentrum für angewandte Rechtswissenschaft in Karlsruhe und kennt sich mit der Problematik gut aus: Bauer hat ihre Doktorarbeit zu urheberrechtlichen Fragen bei der Aneignung von Bildern geschrieben. Und grundsätzlich gilt im Urheberrecht: Ideen sind frei, Formen können urheberrechtlich geschützt werden.

"Die Werke wurden rein äußerlich miteinander verglichen", erklärt sie, "aber die signifikanten Unterschiede, die es auch rein äußerlich gibt, sind nicht berücksichtigt worden." So mache es rechtlich schon einen Unterschied, ob es sich um ein Foto oder um eine Skulptur handelt, wie die Farbgebung beider Werke ist oder ob Elemente hinzugefügt worden sind. Das alles sei bei Koons "Fait d'hiver" gegeben.

Das eigentliche Problem liege aber tiefer: "Bei einer Kunstform, die sich dadurch auszeichnet, dass sie Kunst- und Wahrnehmungsprozesse selbst analysieren möchte, finde ich ein Festmachen anhand von äußerlichen Unterschieden nicht wirklich sinnvoll", so Bauer.

Was bedeutet das für unsere Memes?

Man muss Jeff Koons damit fast zu der Verurteilung gratulieren. Denn das Konzept hinter Aneignungskunst war es ja gerade, das althergebrachte Verständnis von Kunst aufzubrechen. Genau dieses Verständnis spiegelt sich in der Gesetzgebung wider, die sich auf die Formgebung versteift. Das öffentlichkeitswirksame Urteil gegen Koons holt damit die Grundfrage von Aneignungskunst auf eine große Bühne: Was gilt eigentlich als Kunst, und warum?

Eine Demonstration in Köln gegen Uploadfilter.
In ganz Europa demonstrierten meist junge Menschen gegen sogenannte Uploadfilter, die die Europäische Union in ihr Urheberrecht aufnehmen wollte.Bild: DW/Jan D. Walter

Relevant ist diese Frage aber nicht nur für Künstler. "Die Übernahme von Bildern ist heute fast ein Kommunikationsmittel geworden", argumentiert Eva-Maria Bauer. "Das sind Prozesse, die wir anfangs zwar in der Kunst finden, die heute über Memes und Gifs aber fast alle nutzen." Erstellt man beispielsweise ein Meme, eignet man sich urheberrechtlich ebenfalls bestehendes Bildmaterial an und verändert es. Recht und Alltagspraktiken seien in dieser Hinsicht gegenläufig, schlussfolgert Rechtswissenschaftlerin Bauer.

Die Diskussion um Uploadfilter in einem überarbeiteten Urheberrecht wiederholt genau dieses Problem. Das heißt nicht, dass jedes Meme automatisch Kunst ist. Es zeigt aber, dass ein Urheberrecht differenzierter danach fragen muss, wie mit der Aneignung von Bildern umzugehen ist. Und bezogen auf die Kunst heißt das: Das Rechtssystem müsste sich von überholten Kunstvorstellungen verabschieden, um Kunstrichtungen wie der Pop-Art angemessener begegnen zu können.